Von einem, der auszog, Russe zu werden

 

Eine fast wahre Geschichte, aber nur fast

 

Einem rechtschaffenden gereiften Mann im wunderschönen Leibsch wurde es einfach zu viel, Deutscher zu sein. Er ächzte wie so mancher unter der herrschenden  Meinungsdiktatur.

 

Allein wie er jedes Mal, wenn er an seinen geliebten Aufmärschen teilnahm, von anderen am Straßenrand daran erinnert wurde, wie die deutsche Historie vor einigen Jahren sich zeigte. Mit Millionen Toten und unendlichen, soweit das Auge sah, Trümmerfeldern. Das war ihm mittlerweile sehr zuwider, daran erinnert zu werden. Mal muss doch Schluss damit sein.

 

So setzte er sich an seinen PC und guhgelte sich durch das www auf der Suche nach einer schönen Staatszugehörigkeit.

 

Nachdem er viele sich ansah, landete er bei der russischen, die ihm auf Anhieb gefiel.  Der Russe hat sich nicht mit diesem Schuldkomplex herum zu quälen. Er war das Opfer aller Opfer. Im Hintergrund ließ der rechtschaffende Mann aus Leibsch russische Lieder laufen; allem voran „Meinst du, der Russe will Krieg?“

 

Voll freudiger Erwartung packte er einen Koffer – noch „Friedensware“ aus seligen DDR-Zeiten -  und setzte sich in den Zug in die deutsche Hauptstadt, in der eine russische Niederlassung sich befand. Selbstverständlich nicht vergessend, in die Überwachungskameras seiner Stadt Leibsch wohlgemut und freundlich zu winken, darauf hoffend, die Administratoren hinter den Monitoren könnten von seinen Lippen ablesen, wohin die Reise ihn führte und was der Beweggrund dieser Fahrt war – seine große Unzufriedenheit mit Deutschland.

 

In der Hauptstadt angekommen, stand er zunächst etwas verwirrt und überwältigt auf dem Bahnsteig, wohin ihn der Zug beförderte. Da ihm zwar die Adresse aber nicht der Weg zur russischen Botschaft bekannt war, nahm er sich ein Taxi.

 

Auf seiner Fahrt zur russischen Botschaft stellte der rechtschaffende Mann auf Leibsch fest, in der deutschen Hauptstadt sieht es so aus wie bei ihm zuhause, nur sprachen die Menschen anders.

 

Kurz war die Fahrt zur russischen Botschaft und der rechtschaffende Mann aus Leibsch stand mit seinem Koffer vor der Botschaft und klingelte. Mit sicherem Instinkt konnte er aus den Augenwinkeln die Überwachungskameras wahrnehmen, wie die sich auf ihn ausrichteten. Es fiel ihm schwer, seinem Trieb, in die Kameras zu winken. In Leibsch wurde es ihm ja zur Gewohnheit.

 

Ein russischer Beamter fragte im akzentfreien Deutsch nach seinem Begehr, das des rechtsschaffenden Mannes aus Leibsch. Dieser war zunächst so aufgeregt, dass er kein Wort hervorbrachte. Dann, nach kurzer Sammelzeit, seinen Wunsch vorbrachte.

 

Der Beamte war wegen dieses Anliegens eines Deutschen sehr misstrauisch und unterzog ihm einer Überprüfung. Die Durchleuchtung erbrachte zwar einiges aber nichts Gravierendes, sondern eine bereits seit langer Zeit vorliegende Mitarbeit an sowjetischen Projekten (Selbstauskunft im Originalton des rechtschaffenden Menschen aus Leibsch: „Um mich verständlich zu machen, zu DDR Zeiten waren es Kollegen, mit denen ich im Rahmen meiner beruflichen Stellung auf dem Gebiet des ESER (Einheitliche System Elektronischer Rechentechnik) eng zusammengearbeitet habe. Allgemein nannten wir im gebräuchlichen Sprachgebrauch sie immer Russen, da Sowjetbürger zu mindestens bei uns nicht gebräuchlich war.“

 

Diese Tätigkeiten machten ihn sehr glaubwürdig und zerstreuten alle russischen Bedenken, es könne sich hier um eine Einschleusung welcher Art auch immer handeln.

 

Die Überprüfung dauerte nun bereits Stunden. Deshalb bat der rechtschaffende Mann aus Leibsch um eine Unterbrechung, damit er sich an die mitgebrachten belegten Brote laben konnte.  Wie vorsorglich von ihm, sich mit Essen vorher versorgt zu haben. Es wurde ihm dazu eine Zeit zur Erholung  gewährt, aber nicht ohne den Hinweis, sich am morgigen Tag beizeiten einzufinden.

 

Der rechtschaffende Mann aus Leibsch suchte sich ein Hotel und ließ es sich gut gehen, weitab von seiner Familie.

 

Pünktlich am nächsten Tag meldete er sich bei den russischen Beamten und erhielt zu seiner großen Freude den russischen Pass, in dem dokumentiert wurde, ab sofort Russe zu sein.

 

Voller Stolz und mit einem ganz neuem Heimatgefühl trat er die Heimreise nach Leibsch an.