Oma, was ist Krieg?

Eine Stunde im Automuseum

 

 

Dies fragte der Enkel, Fünftklässler, bei einem Museumsbesuch seine Großmutter- „Oma, du bist schon so alt, weißt Du, was Krieg ist?“

 

Erstaunt sah die Großmutter ihren Enkel an und wollte von ihm wissen, warum er es wissen wolle. Der Enkel zeigte ihr eine Bildergalerie im Automuseum mit einigen Fotos der Zerstörung, der Vernichtung und des Wiederaufbaus.

 

Die Großmutter, noch mit ihren Gedanken beschäftigt, besann sich dann aber und betrachtete die Bilder.

 

„Nein, mein Junge, auch ich weiß eigentlich nicht, was Krieg ist. Denn auch ich habe keinen erlebt. Aber meine Mutter und mein Vater haben mir erzählt, was Krieg für sie war.

 

Mein Vater, Dein Großvater, war als sehr junger Mann Soldat im Krieg. Er erzählte mir von seinen Erlebnissen. Er erzählte, wie er voller Überzeugung, ein Kind seiner Zeit, für eine gerechte Sache in den Krieg zog. Hier auf diesem Foto siehst Du, wie die Soldaten schwerbewaffnet im Schützengraben lagen.

 

Das Gemisch von ohrenbetäubendem Lärm, dem Geruch von Verbranntem hat meinem Vater große Angst gemacht. Er hatte Angst um sein Leben. Das erste Mal in seinem jungen Leben.

 

Dann in Gefangenschaft begann er nachzudenken. Er stellte sich Fragen wie: Warum das alles und vor allem: Für wen?

 

Die Antworten machten aus ihn einen Mann, der den Krieg vehement ablehnte.

 

Meine Mutter lebte auf dem Bauernhof ihrer Eltern im Norden. Sie und ihre Geschwister mussten schon als Kinder hart arbeiten, neben der Schule. Ihre Eltern waren ganz früher Knecht und Magd und erhielten den Hof durch Hitler. Natürlich nicht geschenkt, sondern mussten den Hof kaufen. Dafür bezahlten sie sehr lange ab. Da war Deine Mutter, mein Junge, meine Tochter bereits geboren.

 

Sie erzählte mir von langen Marschgruppen, die in das nur wenige Kilometer entfernt liegende Lager gebracht wurden. Diese Menschen waren ausgehungert, viele konnten nur mit der Hilfe anderer gehen. Sie trugen gestreifte Kleidung, damit jeder andere erkennen konnte, dass dies außerhalb der Gesellschaft stehende waren. Gleichzeitig sollten sie die anderen daran erinnern, wenn sie sich nicht so benehmen, wie von den Nazis gefordert, landen sie auch dort mit gestreifter Kleidung.

 

Auf diesem Bild siehst du es. Sie mussten auch in diesem Autowerk arbeiten. Ohne Lohn, der für die karge Ernährung und die Unterkunft im Lager verrechnet wurde. Den großen Rest teilten sich die Nazis mit dem Fabrikeigentümer. Bei wenig Essen und mehr als 10 Stunden täglich, arbeiteten die Gefangenen bis zur Erschöpfung. Wer dabei starb, wurde sofort durch einen anderen Eingesperrten ersetzt.

 

Die Gefangenen waren Gegner der Nazis. Dazu kamen die Juden, die Zigeuner und Millionen Menschen aus den von den Nazis eroberten Ländern. Vielleicht waren auch die Großeltern von deinem Mitschüler Aaron dabei. Es waren aber auch Menschen wie dein schwuler Patenonkel. Homosexualität war damals nicht erlaubt.

 

Krieg bedeutet nicht nur den Tod von Millionen Menschen, sondern auch Hunger und Vertreibung. Die Eltern deiner anderen Oma mussten ein paar Sachen zusammenpacken und mit dem Pferdefuhrwerk wochenlang in der Kälte durch halb Europa ziehen.

 

Das alles wird auf den Bildern gezeigt.“

 

Für meinen Enkel war es eine Geschichte aus langer, langer Vorzeit. So zeigte jedes Bild von damals eine kleine Geschichte über den Krieg, über Tod, Hunger, Vernichtung und Vertreibung. Nur riechen und hören konnten wir ihn nicht. Nicht den Höllenlärm von einschlagenden Granaten, die Schreie der Verwundeten nicht hören und nicht den Gestank von Schwefel, Verbranntem, Blut und Verwesung riechen.

 

Aufgeregt winkte mein anderer Enkel uns zu. Er wollte uns unbedingt einige ausgestellte Autos zeigen. Wir gingen zu ihm und bewunderten die Autos. Das friedliche Heute hatte uns wieder. Kurz nach Mitternacht war unser Rundgang beendet.

 

Möge auch in vielen, vielen Jahren noch der Enkel seine Großmutter fragen:

 

„Oma, was ist Krieg?“