Vollversammlung der Hunde

Ein Zwischenruf

 

Sie trafen sich, wie alljährlich vorgesehen, zu ihrer Vollversammlung. Die Vertreter aller Hunderassen des Landes, fein säuberlich sortiert nach Ständen. Anlass der aktuellen
Vollversammlung war die Wahl ihres Hundepräsidenten.

 

Die Zuordnung der Stände erfolgte nach politischem Gusto; der wirtschaftliche Zweig war nicht offen vertreten, denn deren Wirken vollzog sich innerhalb der politischen Stände im Verborgenen.

 

Im Vorfeld fand das Gerangel um den geeigneten Kandidaten statt, der die jeweiligen Interessen des jeweiligen Standes am effektivsten vertreten könnte.

 

Der geeignete Kandidat sollte ständeübergreifend akzeptiert werden. Zumindest war dies vordergründig so angedacht. Vordergründig deshalb, um jedem Stand einen scheinbaren Raum ihrer Vertretung zu geben. Es musste alles demokratisch geschehen, dieser Anspruch sollte für alle Hunde im Lande sichtbar sein.

 

Der Stand der konservativen Hunde, zwar nicht der größte aber der mächtigste Stand, hatte ihren Kandidaten bereits ins Auge gefasst. Nun begann die eigentliche Überzeugungsarbeit: es musste den übrigen Ständevertretungen dieser Kandidat schmackhaft gemacht werden.

 

Diese Vorgehensweise missfiel besonders dem Stand der liberalen Hunde. Nicht nur, dass ihnen der Sprecher der konservativen Hunde ein Dorn im Auge war, zu viele
Verletzungen der Vergangenheit waren nicht vergessen, sondern sie wollten, als kleinste Standesvertretung, ihre Macht zeigen.

 

Also sprachen sie sich mit den Standessprechern der grünen und der roten Hunde ab. Nach kurzen Sitzungen einigten sie sich auf einen Kandidaten, der nun ganz und gar nichts mit dem Kandidaten der konservativen Hunde gemein hatte.

 

Im nächsten Schritt verkündeten die liberalen Hunde lauthals, diebisch vor Schabernack und Freude in die Pfoten klatschend, ihre Entscheidung. Die fand seinen Beifall bei einem großen Teil des Hundevolkes, unabhängig der Ständezuordnung.

 

Nur die konservativen und linken Hunde jaulten kräftig auf; waren sie doch vollkommen überrumpelt worden.

 

Um nicht schuld zu sein, dass die Vollversammlung der Hunde erstmalig in diesem Jahr nicht stattfinden würde, stimmten die konservativen Hunde schweren Herzens dem Vorschlag der anderen Stände zu. Insgeheim aber schworen sie Rache. Diese
Hintergehung wird den liberalen Hunden in absehbarer Zeit nicht vergessen werden.

 

Die linken Hunde wurden als ideologische Schmuddelhunde gar nicht erst in die Entscheidungsrunde hinzugerufen. Diese Ausgrenzung waren sie jedoch gewohnt und orientierten sich nun auf ihren Kandidaten. Ein Aufjaulen war aber erforderlich, der demokratische Schein musste in jedem Falle gewahrt bleiben und es wurde von ihnen so verlangt.

 

Die Vereinigung der Straßenköter, deren Organisation mitnichten den Anstrich eines Standes mit dessen strikten Regelwerk zeigte, hatte sich von Beginn an auf ihren eigenen
Weg der Kandidatenfindung konzentriert. So focht ihnen das ganze Gerangel vor und hinter den politischen Hundekulissen kein bisschen an. Locker, mit vielen Unterbrechungen, wo sonst erhalten sie regelmäßig ausgiebig Speis und Trank, kamen sie zu einer Entscheidung. Nun galt es auch für sie abzuwarten.

 

Einen Tag vor der Wahl des Landeshundepräsidenten erschien nun der Kandidat der vier Stände, konservativ, liberal, grün und rot, vor allen Hundevertretern und stellte sich deren Fragen.

 

Die Frage nach dem woher war geschwind beantwortet. Gut vorbereitet von den vier Standesvertretern, konnte er, der gemeinsame Kandidat, schnell aber sehr gewissenhaft seinen Text, angestrichen als seine Vita, zum Besten geben.

 

Aus wohlbehüteten Hundeverhältnissen stammend, war ihm bereits als Rüde deutlich, nie und nimmer etwas mit den Straßenhunden oder gar den linken Hunden etwas gemein zu haben. Ab diesem zarten Hundealter bellte er gegen deren Haltungen an. Zugegeben, seine Stimme war noch sehr zart und aus dem Bellen wurde ein leises Winseln, was nicht einmal seine Hundeeltern hörten. Aus Selbsterhaltung war er sogar gezwungen, sich mit den damals mächtigsten Hundeständen gemein zu machen. Nur so war es ihm möglich, undercover aber mit großer Bestimmtheit seinen Protest voranzutreiben.

 

Voller Verständnis und wohlgefällig wehte ihm von dem überwiegenden Teil der Vollversammlung das Mitgefühl entgegen. Diese Stimmung aufnehmend, kam er sogleich zu seinem Wohin.

 

Er strebe eine Solidargemeinschaft auf demokratischer Grundlage an. Jeder Hund solle seinen Beitrag hierzu leisten. Es könne nun wahrlich nicht angehen, dass sich einige Hunde, vor allem die Straßenköter, auf Kosten der anderen Hundestände, sich ihr Auskommen leisten. Auch demokratische Grundrechte, wie das Versammlungsrecht, das Recht auf Schutz von persönlichen Daten, sind zukünftig nicht
mehr haltbar. Moral, Anstand und Gemeinsinn sollten fürderhin Maßstab des Handelns eines Jeden sein und dachte, dass einige Auserkorene davon selbstverständlich ausgeschlossen sind.

 

Mit jedem Satz des Hundekandidaten wurden die Schnauzen der zuhörenden Hunde lang und länger. Allmählich dämmerte es ihnen, wer sich hinter dem Kandidaten der mächtigsten
Stände verbarg, ein grauer, eitler und machtgieriger Wolf, verpackt in einem Hundefell.

 

Und über allem thronen die Hundereporter mit einem selbsternannten Oberzensor, nun wohlgelitten, da sehr nützlich, an ihrer Seite. Dieser verteilt nach seinem Wohlgefallen Prädikate. Substantiell kann er aufgrund seiner beschränkten Sichtweise nichts beisteuern. Muss er ja nicht, denn die Substanz stellen andere. Der Oberzensor ist für die Reinhaltung der Reihen vonnöten.

 

Haben die Entsetzten jetzt noch die Macht, die Möglichkeit und vor allem den Willen, der absehbaren Entwicklung Einhalt zu gebieten?