Der „Schlipserlass“ im Bundestag

 

Es war einmal ein Königreich mit viel fruchtbarem Ackerland und grünen Wiesen, vielen Flüssen, Seen und hohen Bergen. Das Reich war sehr groß. Es waren  viele, viele Tagesmärsche vonnöten, um von einer Grenze zur anderen zu gelangen.

 

Der König war sehr besorgt um Etikette und Gewandung in seinem Reiche. Flugs formulierte er einen Erlass und ließ diesen durch seine Ausrufer im ganzen Königreich verkünden. Umgehend hat jeder Edelmann und jeder Gemeine bei Betreten aller Gebäude ein Halsgebinde zu tragen. Zuwiderhandlungen erfahren eine strengste Bestrafung.

 

Die Pfortenbewacher wurden gesondert unterwiesen.

 

Nun war nicht jeder Edelmann willens und nicht jeder Gemeine in der Lage, sich diesem Erlass zu beugen.

 

Die Pfortenbewacher halfen gerne aus. Gegen der Entrichtung eines saftigen Obolus konnte nun Jedermann bei dem Pfortenbewacher ein Halsgebinde erwerben.

 

Der König sah aber nicht jeden seiner Untergebenen mit einem Halsgebinde. Keine Sanduhr konnte messen, wie viel Zeit der König zum Lesen der Berichte der Pfortenbewacher und eigens ausgeschickter Lakaien verbrachte.

 

Er war so beschäftigt, dass er nicht bemerkte, wie viele seiner Untertanen hungerten, das Raub und viele Techtelmechtel Oberhand gewannen. Banden von Ungesetzlichen ritten brandschatzend durch sein Königreich, entrissen jeden ihnen habhaft werdenden Gemeinen seine letzte Kuh, sein letztes Saatgut.

 

Völlig erschöpft von seinen Überwachungen und erforderlichen rigorosen Bestrafungen, legte sich der König krank danieder. Seine vielen Leibärzte wussten sich keinen Rat. Es konnte sein verwüstetes und bitterarmes Reich nicht mehr sehen.

 

So verstarb der König mit dem zufriedenen Gedanken: in meinem Königreich herrschen Etikette und Gewandungsordnung.