Internetnitis

 

 

Sein Zimmer ist abgedunkelt. Die Vorhänge voller Staub und die Fenster gestatten kaum einen Blick nach draußen, der lebendigen, wirklichen Welt. Er sieht nicht den Tageslauf, nicht den Wechsel der Jahreszeiten. Den Blick starr auf den Monitor gerichtet, sitzt er vor der Tastatur und verfolgt die Geschehnisse der Welt, seiner Welt. Und dies tagein und tagaus, nur durch kurze Schlafpausen unterbrochen. Die Nahrungsaufnahme erfolgt parallel zu den Forenbesuchen.

 

Die selten gewordenen Besuche der Verwandten und der wenig verbliebenen Freunde bereiten ihm kaum Freude, werden oft zum Ärgernis. Unter ihnen ist er ja nur er selbst, ein Verstecken ist schwerlich möglich.

 

Er klickt sich von Forum zu Forum und lässt sich hin und wieder nieder, um seine Weisheiten zum Besten zu geben. Dann ist er mit seinen vielfältigen Namen der Größte, der Warmherzigste, der, der schon immer alle Geschehnisse voraussah, der Meinungsmacher.

 

Mit Akribie beobachtet er die Foren, vor allem deren Besucher. Das jeweilige Thema ist nebensächlich. Primär zählt seine Präsens. Dazu bedarf es weniger, oft sehr sinnfreier Worte. Dort wird dann gehätschelt und getätschelt, aufgeschwungen zu lyrischen Ergüssen.

 

Wehe dem aber, der sich ihm entgegenstellt. Mit aller verbalen Kraft wird dieser in die Ecke der Falschdenker, manchmal sogar in die der schlechten Menschen gestellt, denn er selber sieht sich den Guten zugehörig.

 

Voller Freude verfolgt er nun, wie dieser Gegner sich wehrt. Hilft kein Wort, um diesen zum Schweigen zu bringen, greift er zur letzten, aber sehr wirksamen Waffe; er unterstellt ihm mehrere Identitäten. Dies mit einer Vehemenz, die bereits krankhafte Züge eines Wahns, eines Verfolgungswahns, annehmen.

 

So macht er einen Nebenschauplatz auf, auf dem nicht mehr das Argument zählt, sondern nur noch die Diffamierung.

 

Nun hat er sein Werk zwar nicht vollendet. Ein kleiner Schritt auf seinen Weg ist aber getan. Sein Weg zum Aufbau einer Kunstfigur, die sich allzu gerne zum Gott aller Internetforen aufschwingen möchte.

 

Was nun aber tun mit diesen bedauernswerten Geschöpfen? Lassen wir sie doch einfach links liegen, denn Nichtwahrnehmung ist deren größte Strafe und wünschen wir ihnen gute Besserung.