Die CDU in Sachsen nach der Wahl

Den Rechtsradikalen unterlegen

 

Die AfD ist bei der Europawahl in Sachsen stärkste Partei geworden. Was können Landeschef Kretschmer und seine CDU dafür? Eine Analyse.

 

Von MATTHIAS MEISNER

https://www.tagesspiegel.de/politik/die-cdu-in-sachsen-nach-der-wahl-den-rechtsradikalen-unterlegen/24385910.html

 

Nach der Wahl übernahm Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer indirekt das AfD-Feindbild Grüne. Die rechtsradikale Partei hatte im Wahlkampf plakatiert: "Grün ärgern. Blau wählen". Als der CDU-Landeschef am Montag zu den Gremienberatungen seiner Partei in Berlin eintraf, sagte er, ohne AfD und Grüne beim Namen zu nennen, er sehe mit Sorge, dass zwei politische Kräfte erfolgreich aus der Wahl hervorgegangen seien, die nichts miteinander zu tun hätten. Sich aber sehr darin ähnelten, "dass sie nur ihre eigene Position als das Absolute sehen, dass sie nicht fähig sind zu Kompromissen". Das sei nicht gut für Deutschland.

 

Und das nach einer Wahl, bei der die AfD nicht nur in Sachsen, aber besonders dort, Erfolge verbuchen konnte: Sie wurde bei der Europawahl, wie schon bei der Bundestagswahl 2017, stärkste Kraft, mit 25,3 Prozent verwies sie die CDU (23 Prozent) auf Platz zwei. Weit abgeschlagen folgen mit 11,7 Prozent die Linken, die am Sonntag - wie auch in den anderen ostdeutschen Ländern - massiv verloren. Bei den Kommunalwahlen, die in Sachsen parallel stattfanden, zeigte sich ein ähnliches Bild.

 

Der Blick in die Regionen zeigt: Nicht nur in kleinen Gemeinden lag die AfD vorn, sondern auch in den Großstädten Dresden und Chemnitz, nur in Leipzig schoben sich die Grünen auf Platz eins. Hat die CDU immer klare Kante gegen Rechtsradikale gezeigt? Beispielsweise im Landkreis Meißen, Wahlkreis des früheren Bundesinnenministers Thomas de Maizière, erzielte die AfD in mehreren Gemeinden Ergebnisse von mehr als 40 Prozent. Ihr landesweit bestes Resultat: in Deutschlands östlichster Gemeinde Neißeaue, Landkreis Görlitz, Heimatregion von Kretschmer, 46,4 Prozent.

 

Auch im Landkreis Bautzen schnitt die AfD überdurchschnittlich gut ab. Dort hatten führende Kommunalpolitiker wie der Landrat und CDU-Kreischef Michael Harig Gesprächskontakte auch mit Neonazis verteidigt.

 

Und nicht überall war es nur die AfD, die am Sonntag Rechtsradikale mobilisierte: In der Gemeinde Reinhardtsdorf-Schöna in der Sächsischen Schweiz kam die NPD bei der Europawahl auf 6,3 Prozent, die AfD lag dort bei 37,1 Prozent. Bei der Gemeinderatswahl lag die NPD dort sogar mit 19,6 Prozent auf Platz zwei hinter einer Wählervereinigung. In Chemnitz punktete bei der Stadtratswahl neben der AfD die extrem rechte Wählervereinigung "Pro Chemnitz". Sie hatte im Herbst 2018 die rechten Aufmärsche mitorganisiert, bei denen AfD und Pegida den Schulterschluss übten.

 

Und unter anderem in Plauen die neonazistische Kleinpartei "Der III. Weg", die am 1. Mai in SA-Manier mit Signalfackeln, Trommeln und Fahnen durch die vogtländische Stadt gezogen war. Die Behörden duldeten damals den Aufmarsch der Rechtsextremisten, erst nach Tagen erklärten CDU-Landespolitiker, die Möglichkeiten des Versammlungsrechts seien nicht ausgeschöpft worden. Am Sonntag stimmten im Wahlbezirk im Plauener Berufsschulzentrum, das nach dem Holocaust-Opfer Anne Frank benannt ist, neun Prozent der Wähler für den "III. Weg".

 

"Nazis raus!"-Rufe im Verfassungsschutzbericht

Seit jeher werfen Kretschmer und andere Funktionäre der Sachsen-CDU und auch die Landesregierung Rechte und Linke in einen Topf, wenn es um die Bekämpfung des politischen Extremismus geht. Kurz vor der Wahl nannte Kretschmer die Aktionen der Künstlergruppe "Zentrum für politische Schönheit" ebenso "geschmacklos" wie die der extrem rechten "Identitären Bewegung".

 

Im erst vor einigen Tagen erschienenen neuen Verfassungsschutzbericht wird das "Wir-sind-mehr"-Konzert am 3. September 2018 gegen die rechten Umtriebe in Chemnitz im Kapitel Linksextremismus erwähnt - unter anderem mit dem Hinweis, die Besucher dort hätten die Parole "Nazis raus!" skandiert. Die islamfeindliche Pegida wird dort als "nicht-extremistisch" eingeordnet - und die AfD kommt nur als Opfer linksextremer Aktivitäten vor.

 

Die Gleichsetzung von Links und Rechts ist für die Sachsen-CDU nicht neu. Sie relativiert so seit Jahren die Probleme, der der Freistaat mit Rechtsextremismus hat. Dass Kretschmer nun auch gegen die Grünen polemisiert, ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen, weil der CDU-Politiker nach der Landtagswahl am 1. September auf ein Bündnis auch mit den Grünen angewiesen sein könnte, um seine Mehrheit zu sichern - jedenfalls dann, wenn er eine Koalition mit der AfD vermeiden will. Und zum anderen, weil er die zunehmende Radikalisierung der AfD nach einem solchen Vergleich mit den Grünen schwerer wenig glaubwürdig anprangern kann.

 

Ausgerechnet in seiner Heimatstadt Görlitz sitzt Kretschmer die AfD besonders im Nacken. Bei der Bundestagswahl 2017 hat ihm dort der Malermeister Tino Chrupalla das Direktmandat abspenstig gemacht. Die "Sächsische Zeitung" nominierte Chrupalla anschließend als "Eroberer" zu einem der "Menschen des Jahres 2017".

 

Am Sonntag holte der AfD-Kandidat bei der Oberbürgermeisterwahl in Görlitz, der Polizeikommissar Sebastian Wippel, die meisten Stimmen, vor CDU-Bewerber Octavian Ursu und der Grünen-Kandidatin Franziska Schubert - endgültig entschieden wird beim zweiten Wahlgang am 16. Juni.

 

Chrupalla oder AfD-Landeschef Jörg Urban werden bei der Landtagswahl als Ministerpräsidenten-Kandidat und damit als Herausforderer von Kretschmer antreten, beide nehmen sich nichts in ihren extrem rechten Positionen. Erst kürzlich beendete eine langjährige Aktivistin ihre Mitgliedschaft im Görlitzer AfD-Kreisverband mit der Begründung: "Vetternwirtschaft, betreutes Denken, Meinungsdiktatur und ein totalitärer Führungsstil prägten zunehmend das politische Alltagsgeschäft."

 

Kretschmer selbst beteuert, er lehne eine Koalition mit der AfD strikt ab. Aber in seiner Landespartei gibt es einflussreiche Funktionäre, die als mögliche Wegbereiter des ersten schwarz-blauen Bündnisses in Deutschland gelten. Am Montag sagte Kretschmer in Berlin, eine besondere Strategie für Ostdeutschland sei nicht nötig. Er wünsche sich, dass die Landtagswahl in Sachsen "nicht so eine Bekenntniswahl wird wie diese Europawahl". Bis zur Landtagswahl müsse zusammengeführt und nicht gespalten werden.

 

Kommentar:

Da hat das sächsische Lockeköpfchen aber einen Coup durchgezogen: AfD und die Grünen in einen Topf werfen.

 

Solange diese Ausblendungen in einem Bundesland, das schon vor Jahren an die AfD übergeben wurde, Gang und Gäbe sind, wird sich dort kein bisschen ändern. Schon gar nicht in den kommenden Monaten bis zur Landtagswahl. Zumal eine breite Welle der Unterstützung, angefangen beim sächsischen Verfassungsschutz, Polizei, Justiz, über die Landratsämter bis zur kleinsten Gemeinde, abgesichert ist.

 

Es ist auch interessant, wie sich menschliche Werte, die alle im Buch der Christen, der Bibel, gelobpreist werden, wie nicht vorbestraft sein, nicht klauen, nicht prügeln, nicht lügen, nicht rumpöbeln bei den dort lebenden deutschen Menschen sich ins Gegenteil verwandeln, ist schon erstaunlich. Und macht einfach nur endlos traurig.

 

Aber das hat natürlich mit der CDU-Politik der Ministerpräsidentenkaste nichts zu tun. Wie denn auch. Die CDU dort im Sächsischen predigte seit jeher, die Befindlichkeiten, besonders die eingebildeten und eingeredeten der Sachsen, ernst zu nehmen. Da hält sich nur keiner dran und das hat „Restdeutschland“ nun davon.

 

Aber leider wurde bisher kein Weg zur Besserung gefunden. Die Geschichte zeigte, auch Mauern helfen nicht.

 

Wanda Müller