Rana, Riham und Riem haben es geschafft

Von Alexander Krützfeldt

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Vor zwei Jahren habe ich drei syrische Mädchen in Brandenburg getroffen und mich gefragt: Kann das gut gehen? Jetzt habe ich sie wieder besucht.

 

Bei meiner letzten Begegnung waren sie fünf, acht und zehn Jahre alt, es war Winter, das Licht über dem Garten war weiß, und Riham, Rana und Riem sprangen Trampolin, warfen Blätter zu den Zweigen über ihnen hoch, und die Blätter regneten auf sie herab. Was macht ihr, fragten wir, weil wir das Spiel nicht verstanden. Wir geben dem Baum seine Blätter zurück, meinten sie. Vielleicht vermisst er sie ja.

 

Zweieinhalb Jahre ist das her, und ich muss oft daran denken. Es war der Winter 2016, Anke Domscheit-Berg hatte mir von den Mädchen erzählt, die jetzt bei ihnen wohnen; und ich fand die Frage spannend, drei Mädchen aus Syrien, in Brandenburg – geht das gut?

 

Ich habe beschlossen, noch einmal hinzufahren, weil sie jetzt älter sind. Wie geht es ihnen jetzt mit Deutschland, welche Entscheidungen müssen sie hier treffen – und was ist mit Syrien?

 

Und da stehe ich wieder, Fürstenberg an der Havel, Brandenburg, ein blau-weißes Haus, eine Schaukel im Garten, ein alter Baum, es ist Sommer und ziemlich heiß, und hinter der Tür wartet Riham, ich sehe sie durch eine große Glasscheibe, sie hält ein Katzenbaby. Riham ist klein und etwas kokett, Rana ist lang und super-sportlich, Riem, sagt Anke, wird jetzt eben langsam eine Frau.

 

Rana und Riem sind Einser-Schülerinnen

Erster Eindruck: Riham will nicht reden. Das war auch beim ersten Treffen so. Sie ist sehr schüchtern, und ich wäre auch schüchtern, vielleicht sogar skeptisch, wenn ich mich selbst treffen würde – jedenfalls würde ich garantiert nicht mit mir reden. Dass Riham reden will, merkte ich letztes Mal, als sie begann, am Saum meines Pullovers zu ziehen, um sich bemerkbar zu machen.

 

Rana und Riem sind elf und 13, dritte und fünfte Klasse, sie sind im Garten. Riem findet übrigens, sie sei jetzt alt genug, um zu entscheiden, sich mit „ie“ schreiben zu lassen (falls sich wer wundert). Steht so auch nicht in ihrem Pass.

 

„Wie geht’s so?“, frage ich und setze mich auf eine Bank.

 

„Gut“, sagt Riem.

 

„Gut“, sagt Rana, die schaukelt; die Seile knarzen im Baum.

 

Riham sagt nichts.

 

„Warum redest du nicht“, fragt Rana, „du redest doch sonst immer.“

 

„Stimmt nicht“, protestiert Riham.

 

„Stimmt voll“, sagt Rana. „Riham redet immer am meisten.“

 

„Wie ist die Schule?“, frage ich.

 

„Wir haben viele Einsen“, sagt Rana.

 

„Wir haben voll gute Noten“, sagt Riem, „außer Riham, die kriegt noch keine.“

 

Riham steckt die Zunge raus: „Sonst wär ich aber auch voll gut, weil: Ich rede ja viel.“

 

Manchmal denken die Mädchen an ihre alte Heimat

Riham, Rana und Riem kommen aus Syrien und wohnen mit ihrer Mama Halima in einer Wohnung, aber praktisch auch bei Anke und Daniel Domscheit-Berg. Es ist der 8. März 2016, als Daniel abends eine E-Mail bekommt; Absender ist die Flüchtlingsunterkunft in Hennigsdorf.

 

In der Mail steht: Man habe hier eine Familie, drei kleine Mädchen, die müssten sich ein Zimmer mit fremden Männern teilen, zudem seien sie anerkannte Flüchtlinge, die Unterkunft sei aber nur für solche, deren Status noch geklärt werden müsse, was meint, es müsse schnell gehen, sie dürfen nicht bleiben.

 

Daniel Domscheit-Berg, Hacker, ehemaliger Wikileaks-Aktivist, und Anke, heute Mitglied im Deutschen Bundestag und Frauenrechtlerin, überlegen nicht lange und sagen zu.

 

„Wisst ihr noch, wie ihr hier ankamt?“, versuche ich.

 

„Ja, wir waren voll schüchtern“, sagt Riham.

 

„Das war am Weltfrauentag, das weiß ich noch“, sagt Riem, „wann ist das – 8. März?“

 

„Es hat voll geregnet“, sagt Rana. „Und dann war Daniel da und Anke kam erst später, aber die hat uns die Tage drauf immer zum Essen eingeladen, wir konnten kein Deutsch, und eine Kiste mit Lego hatte sie ausgekippt. Damit haben wir gespielt.“

 

„Das war voll schön“, sagt Riham.

 

„Voll schön“, sagt Riem. „Wenn ich groß bin, will ich auch so ein Haus.“

 

„Und was macht ihr sonst, wenn ihr nicht zur Schule geht?“, frage ich. „Habt ihr Lieblingsfächer?“

 

„Deutsch und Sport“, sagt Rana.

 

„Ich hasse Sachkunde“, sagt Riham.

 

„Wieso hasst du denn Sachkunde“, frage ich.

 

„Weil“, sagt Riham, „da kann man kein Mathe machen.“

 

„Und denkt ihr manchmal an zu Hause?“, frage ich.

 

Riham ist still, antwortet kurz, „manchmal“, dreht sich weg.

 

Riham will das nicht, wer weiß, was sie gesehen hat. Ich hake nicht nach.

 

Auch Deutschland ist ihr Zuhause geworden

Anke erzählte mir vor ein paar Tagen, dass Halimas Schwester bis vor Kurzem mit vier eigenen und drei Kindern ihres Schwagers in Aleppo lebte, weil der Schwager und seine Frau durch Bomben getötet worden waren. Jetzt sei auch der Mann von Halimas Schwester durch eine Autobombe ums Leben gekommen. Halimas Schwester sitze nun mit allen Kinder ganz allein in der Türkei fest.

 

Rana springt ein. „Syrien und Deutschland, ist bisschen beides unser Zuhause“, sagt sie.

 

„Syrien ein bisschen mehr“, sagt Riham vorsichtig.

 

Halima setzt sich in der Entfernung dazu.

 

„Letztes Mal als ich hier war, wart ihr fünf, acht und zehn“, sage ich. „Wie ist es also, älter zu sein?“

 

„Man muss voll viel machen“, sagt Riem.

 

„Ja, voll viel“, sagt Rana. „Wir müssen mehr mithelfen.“

 

Pause.

 

„Also, als erstes wollte ich Astronautin werden“, sagt Rana.

 

„Und dann Ärztin“, sagt Riem, „und dann Sportlehrerin, weil ich Sportlehrerin werden wollte; du wolltest alles, was ich wollte.“

 

„Rana wollte auch Polizistin werden“, sagt Riham, „wie ich.“

 

„Stimmt gar nicht, Polizistin ist doof; die machen nichts und sperren nur Leute ein, das ist langweilig.“

 

„Was ist der Unterschied zwischen Syrien und Deutschland“, frage ich

 

„In Syrien ist Krieg, in Deutschland nicht“, sagt Rana.

 

„In Syrien tragen die Frauen Kopftücher“, sagt Riem. „Ich will das nicht.“

 

„Wieso?“

 

„Sonst sieht man meine schönen Haare nicht“, sagt sie, wirft theatralisch den Kopf nach hinten. „Anke sagt, wir dürfen hier frei entscheiden.“

 

„Auch mit Ramadan“, sagt Rana.

 

„In Syrien beten alle“, sagt Rana und springt von der Schaukel. „Hier nicht.“

 

„Oder halt ganz anders“, sagt Riem, „so keine Ahnung, vielleicht beten hier auch alle – und wir kriegen das nur nicht mit, Rana.“

 

„Nee, hier beten viel weniger, Riem.“

 

„Und wie hältst du es mit dem Beten, Riem“, frage ich.

 

„Beten ja“, sagt Riem, „Kopftuch nicht.“

 

Die Familie in Syrien fehlt den Mädchen

Anke stellt Kissen hin und Salat und Fladenbrot: „Wollt ihr gleich essen?“, fragt sie. Die drei nicken.

 

„Früher war hier in Deutschland auch Krieg“, sagt Rana.

 

„In Syrien gab es nach dem Zweiten Weltkrieg sogar Flüchtlingsunterkünfte für Deutsche, die geflohen waren oder vertrieben worden sind“, sagt Anke und stellt eine Schale mit Feta hin.

 

„Als in Deutschland voll Krieg war, war Syrien voll schön“, sagt Rana. „Jetzt ist es umgekehrt.“

 

Riem beugt sich vor. „Weißt du noch, wenn wir zu Oma und Opa gingen, die schönen Häuser und die großen Gärten?“

 

„Und die Schaukel“, ruft Rana.

 

„Und wir haben mit unseren Cousins gespielt“, Riem wirkt aufgeregt, „es gab viele Schafe und noch viel mehr Katzen, weil alle Katzen aus der Nachbarschaft zu uns kamen. Wir sind geschwommen. Weißt du noch?“

 

„SCHWIMMEN“, haucht Rana. „Also wir gehen hier auch schwimmen, aber schwimmen in Syrien – bei Oma!“

 

„Vielleicht ist beides zu Hause“, sagt Riem ernst. „Weil hier unser Zuhause ist, weil, als wir weggehen mussten, wir hier wohnen konnten.“ Sie zeigt auf das weiß-blaue Haus.

 

„Also ist deine Familie jetzt hier“, frage ich.

 

„Auch“, sagt Rana. „Beides. Dort und hier.“

 

„Und was vermisst ihr?“, frage ich.

 

Oma.

 

Opa.

 

Onkel.

 

Mit dem Schmuck gibt es ein Problem

„Als wir in Syrien waren, hatten Rana und ich Schmuck, den wollten wir mitbringen“, sagt Riem. Ihre Augen glänzen. Sie macht Gesten am Handgelenk. „So Ringe und Ketten und so, voll schön.“

 

„Den haben wir bei Oma gelassen“, ergänzt Rana. „Wenn nicht mehr Krieg ist, fahren wir hin, vielleicht in den Urlaub, so zwei Wochen, und holen ihn. Rana reibt sich die Hände.“

 

„Wollt ihr denn irgendwann ganz zurück“, frage ich.

 

„Nein“, sagen beide.

 

„Redet ihr über den Krieg?“

 

„Nee“, sagt Rana.

 

„Ich guck’s auch nicht mehr an“, sagt Riem leise, „ich will es nicht sehen. Die ganzen Bomben.“ Sie macht eine Geste: Ihre Faust fällt zu Boden und zerspringt. Jene Geste, die sie am Abend unseres ersten Treffens stumm am Esstisch gemacht hat.

 

„Jetzt kann ich die ganze Zeit nur an den Schmuck denken!“ Rana springt auf. „Wie konnten wir den vergessen! Die Ohrringe! Bestimmt sind sie weg.“

 

„Wollt ihr jetzt essen kommen“, fragt Anke vom Tisch.

 

Halima und die Mädchen stehen auf, gehen nochmal auf die große Schaukel und machen ein Familienbild mit dem Fotografen. Die Mädchen schmiegen sich an sie, sie lächelt tief und fürsorglich.

 

Ich setze mich zu Anke, wir beobachten die drei mit Halima, ich erzähle ihr von dem Schmuck und unserer Unterredung.

 

Anke guckt lange zu den dreien hinüber. „Den Schmuck gibt es nicht mehr“, sagt sie dann. „Sie haben ihn für die Flucht gebraucht, um die Schlepper zu bezahlen.“

 

 

Kommentar:

 

An dieser Stelle ein Extra für Klausi, der aus Leibsch.

 

Klausi, so sieht  eine reale Geschichte aus, im Gegensatz zu meiner mit dem Russenpass.

 

Kannst du Fiktion und Realität jetzt auseinander halten? Bist echt der Brüller, Klausi. Da sage mir noch einer, ihr Sachsen seid nicht helle. Ist sehr heiß bei euch in Leibsch, gelle?

 

Wanda Müller