Björn Höcke in Dresden

Schauen Sie diese Rede

Wer meint, die AfD sei wählbar, weil sie die Flüchtlingspolitik der Regierung kritisiert, muss den Auftritt Björn Höckes in Dresden sehen. Danach kann keiner mehr sagen, er habe nicht gewusst, was Höcke mit der AfD vorhat.

 

Eine Kolumne von Sascha Lobo

https://www.spiegel.de/netzwelt/web/bjoern-hoecke-rede-offenbart-gesinnung-kolumne-von-sascha-lobo-a-1130551.html

 

Sagen Sie nicht, man hätte es nicht wissen können. Denn Sie hätten. Die vielleicht größte und zugleich dunkelste Eigenschaft des Internet ist die ständige Archivierung des Jetzt. Groß ist sie, weil die Milliarden Sensoren, Kameras, Mikrofone immer näher an die Allaufzeichnung herankommen. Und darin ist auch die dunkle Eigenschaft begründet, denn das ständige Archiv wird uns irgendwann mit dem konfrontieren, was wir hätten ahnen können und sehen sollen. Was Sie - genau Sie - hätten wissen können.

 

Weil es da war, die ganze Zeit, aufgezeichnet, zugänglich, analysierbar. In wenigen Tagen wird der erste Twitterpräsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt. Wahrscheinlich. Und natürlich wird es schlimm, die Frage ist nur, wie schlimm. Und vor allem für wen. Der von Rach- wie Geltungssucht getriebene, sich permanent geringgeschätzt fühlende Trump ist durch seinen Narzissmus der am leichtesten zu manipulierende US-Präsident aller Zeiten. Und natürlich wird er manipuliert, schon jetzt und stärker noch in der Zukunft. Unter anderem von den reaktionären, antigesellschaftlichen Kräften, die er um sich geschart hat. Von Leuten, die verstanden haben, dass er für fahle Anerkennung - the best, the greatest, tremendous - jedes andere Interesse verkaufen wird. Das hätten Sie wissen können, weil es in den Tweets und Interviews von Trump ganz offen daliegt.

 

Und Sie hätten wissen können, dass der Sieg von Trump weltweit, auch in Deutschland, bestimmte politische Kräfte beflügelt. Die jetzt ihre Morgenbräune gekommen sehen, ihre vermeintliche Mehrheit abseits der Umfragen und ihre trumphaft unmittelbar bevorstehende Herrschaft zu spüren glauben. Politische Kräfte, die genau deshalb wie Trump in radikaler, nie gekannter Offenheit kommunizieren.

 

Alles offen im Allarchiv des Internet

 

Am Dienstag, den 17. Januar 2017, hat AfD-Vorzeigefunktionär Björn Höcke bei der Jungen Alternative in Dresden eine Rede gehalten. Diese Rede können Sie nachsehen. Tun Sie es, insbesondere, wenn Sie die AfD für wählbar halten. Zum Beispiel, weil sie "Fleisch vom Fleische der CDU" sei. Oder weil Sie - demokratisch legitim - mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung nicht einverstanden sind. Schauen Sie diese Rede, damit Sie es nicht bloß hätten wissen können, sondern auch wissen. Denn es liegt alles offen da, im Allarchiv des Internet.

 

"Ich weise euch einen langen und entbehrungsreichen Weg, ich weise dieser Partei einen langen und entbehrungsreichen Weg, aber es ist der einzige Weg, der zu einem vollständigen Sieg führt, und dieses Land braucht einen vollständigen Sieg der AfD." Höcke möchte also einen vollständigen Sieg der AfD, der Saal voller "Patrioten" kocht. Wenn ein Geschichtslehrer vom "vollständigen Sieg" spricht, dann lässt sich ahnen, woher er seine Inspiration bezieht. Das ist kein Zufall mehr.

 

Höcke spricht von Bundespräsidenten, von Richard von Weizsäcker, der sich mit seiner wichtigsten Rede - "Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung" - gegen das Volk gestellt habe. Höcke spricht von Roman Herzog, der einen Ruck eingefordert habe, aber es sei nicht der richtige Ruck gewesen, jedenfalls nicht offiziell. Die Menge brüllt das Unwort des Jahres: "Volksverräter, Volksverräter, Volksverräter", und Höcke schlägt die Brücke ins Jetzt: "Die Menschen haben Roman Herzog damals geglaubt, so wie viele Menschen sehr lange Angela Merkel geglaubt haben; beide haben sie unser gutmütiges Volk heimtückisch hinters Licht geführt."

 

Ein gutmütiges Volk, durch Heimtücke betrogen, bekannte Begriffe. Mit dieser Analyse von Höcke geht ein Ziel einher, ganz offen kommuniziert: "Wir werden uns unser Deutschland Stück für Stück zurückholen." Die Ankündigung, das Land zu verändern also, und zwar "zurück". Höcke lässt kaum Zweifel daran, welches "zurück" er genau meint.

 

Denn für ihn steht fest: "Bis jetzt ist unsere Geistesverfassung und Gemütszustand immer noch der eines total besiegten Volkes." Er spielt damit natürlich auf den Zweiten Weltkrieg an. Aber auch - auf die Zeit danach: "Man wollte unsere Wurzeln roden. Und zusammen mit der dann nach 1945 begonnenen systematischen Umerziehung hat man das dann auch fast geschafft." Unter "systematische Umerziehung" muss hier die "Entnazifizierung" verstanden werden, die Höcke nicht bloß kritisiert. Er möchte sie umkehren - und zwar besonders das Gedenken an den Holocaust: "Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat."

 

Außer sich vor Nationalentzücken

 

Wenn in der jungen, aber intensiven Geschichte der AfD je eine Katze aus einem Sack war, dann hier. Denn Höcke hat längst aufgehört, von Flüchtlingsproblematiken zu sprechen - er redet jetzt von einem Deutschland, das nicht aus der Nazizeit lernen darf: "Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad."

 

"Und anstatt die nachwachsende Generation mit den großen Wohltätern, den bekannten, weltbewegenden Philosophen, den Musikern, den genialen Entdeckern und Erfindern in Berührung zu bringen, von denen wir ja so viele haben [...] vielleicht mehr als jedes andere Volk auf dieser Welt, [...] wird die Geschichte, die deutsche Geschichte, mies und lächerlich gemacht. So kann es und so darf es nicht weitergehen." Die Menge ist außer sich vor Nationalentzücken.

 

Wollen Sie das wirklich? Wollen Sie, weil Sie zum Beispiel mit der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung nicht einverstanden sind, einen Mann mit an die Macht bringen, der glaubt, nicht etwa der umgesetzte Holocaust, sondern das deshalb errichtete Holocaust-Mahnmal mache die deutsche Geschichte mies? Einen Mann, der große Teile der AfD in seiner Rede als "Halbe" verunglimpft, die ihm nicht radikal genug zu sein scheinen, bei denen er die Gefahr sieht, dass sie "vom parlamentarischen Glanz der Hauptstadt fasziniert werden" - und also nicht mehr in aller Radikalität vorgehen wollen?

 

Ein Gedankenexperiment: Wenn sich einhundert Menschen versammeln, und ein paar sind darunter, die murmeln Nazi-Zeug - das macht die restlichen 95 nicht zu Nazis. Aber wenn diese paar zum Beispiel anfangen würden, sichtbar Hakenkreuz-Fahnen zu hissen, dann kommt ein essenzieller Moment: Wie gehen die 95 mit den fünfen um? Akzeptiert die große Mehrheit diese Symbole unwidersprochen? Bleiben die fünf Teil der Gruppe? Ab einem bestimmten Punkt steht eine gehisste Fahne nicht mehr nur für die fünf, sondern kann oder muss als Absichtserklärung der gesamten Gruppe verstanden werden. So funktioniert politische Gruppendynamik: über Zustimmung, Schweigen und Abgrenzung. Und es gibt einen Moment, da wird Schweigen zur Zustimmung. Als würde man ohne Protest einer Fahne hinterherlaufen.

 

Und wann wäre dieser Punkt erreicht, wenn nicht in dem Moment, wo Höcke so klar darlegt, an welchen Teil der deutschen Geschichte er gedenkt anzuknüpfen? Verlassen Sie sich nicht auf meine Worte und Analysen, sondern auf die von Höcke selbst. Was kann Björn Höcke noch sagen, bevor Sie erkennen - man hätte es wissen können? Selbst wenn er anschließend in einer offiziellen Entgegnung auf Facebook so tut, als sei alles ein großes Missverständnis - die Rede selbst, die einzelnen Zitate, sie zeigen das genaue Gegenteil. Die Erklärung ist nachträglich aufgetragene bürgerliche Schminke, um Sie von der Offensichtlichkeit abzulenken. Eine bekannte Strategie, weil so diejenigen, die das ähnlich sehen, erreicht werden - und diejenigen, die damit nicht einverstanden sein sollten, sich am "Missverständnis" festhalten können. Es war doch keine Hakenkreuz-Fahne, es war bloß ein indisches Sonnensymbol, um auf das Gedankenexperiment zurückzukommen.

 

Aber Höcke hat einen Plan, und er liegt offen vor Ihnen, schauen Sie ihn sich an. "Liebe Freunde, wir müssen nichts weniger als Geschichte schreiben." Die Kraut-Crowd brüllt: "Deutschland! Deutschland! Höcke! Höcke!" Der fährt fort: "Wir können Geschichte schreiben. Tun wir es." Diese Geschichte aber ist schon einmal geschrieben worden. Und wer dafür plädiert, sie zu tilgen, zu verklären, umzukehren - der plant vermutlich einen neuen Anlauf. Man hätte es wissen können, diesmal mit nur einem Klick, Internet sei Dank. Oder nein - man hätte es wissen müssen.

 

 

Kommentar:

Kaum eine Betrachtung kann die politische Situation nach der Nazi-Terror-Tat im Oktober 2019 besser einordnen, als dieser aus dem Jahre 2017 von S. Lobo.

 

Sasche Lobo beschreibt einmal mehr sehr detailliert, wie die AfD ein Treiber für derartige Terrorakte ist. Die AfD ist der Selbstdarstellung KEINE bürgerliche Partei, sondern eine rechtsextremistische Vereinigung. Ob in Teilen oder gesamt ist dabei vollkommen unerheblich, solange sich diese selbsternannten bürgerlichen Teile sich nicht von den rechtsextremistische Gruppen, positioniert um Höcke, abgrenzen. Die „Vogelschiss“-Abteilung drückt ihre Ziele nur etwas gepflegter aus und nicht in diesem knallharten Nazi-Jargon.

 

Deshalb ist es vollkommen unverständlich, wie eine CDU in Sachsen sich von einem geistigen Brandstifter Patzelt „beraten“ lässt. Was bisher bereits dazu führte, dass viele CDU-Gruppen auf unteren Ebenen zum politischen Türöffner für eine rechtsextreme Partei sich gerierte. Echt, der Patzelt hat seinen Auftrag, die AfD salonfähig zu machen, gut ausgeführt und sein Honorar dafür verdient.

 

Diese „Tat“ im Oktober 2019 ist zwar die erste dieser Art in Deutschland, sie wird aber garantiert nicht die letzte sein. Die nächsten Aktionen werden ausgefeilter sein und nicht an der Dussligkeit des rechten Attentäter, der es nicht schaffte, eine Tür zu öffnen, obwohl er kiloweise Sprengstoff mit hatte, scheitern. Nein, garantiert nicht.

 

Es wurden zwei Menschen ermordet, zu allem Unglück der Rechtsextremen Deutsche. Beim nächsten Mal werden die bei der „Auswahl“ akribischer vorgehen. Auch Rechte sind lernfähig.

 

Wanda Müller