Halle und Höcke – Rechtsterrorismus in Deutschland

Mord und Muster

 

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Die Morde von Halle mögen die Tat eines Einzelnen gewesen sein. Für das Motiv der Tat gilt das nicht. Wir müssen davon ausgehen, dass sich der Täter an Handlungsmustern orientierte, die auch beim NSU, bei Franco A. und bei dem brutalen Mord an Walter Lübcke eine Rolle spielten. Der Rechtsextremismus und auch der Rechtsterrorismus in Deutschland – Ost wie West, DDR wie BRD – waren nie weg. Er hat sich über die Jahre bewaffnet und führt längst einen Kampf gegen die Gesamtgesellschaft. Das sollte nicht erst seit den Morden von Halle allen klar sein. Entsprechend bedarf es der ganzen institutionellen Stärke des demokratischen Rechtstaates, dem Rechtsterrorismus die Stirn zu bieten. Vor allem aber müssen wir die zivilgesellschaftlichen Anstrengungen gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit verstärken. Die Muster, mit denen Menschen zuerst verbal ausgeschlossen werden und schließlich physisch, bis hin zum Mord, sind fließend. Ihnen entschieden zu widersprechen, sie nicht zuakzeptieren, sie klar als menschenverachtend zu markieren, ist unser aller Aufgabe.

 

In den letzten Tagen wurde gefragt, ob auch die AfD mit ihrer Sprache und ihrem Weltbild den Taten Vorschub leistet. Ich hatte als Vorbereitung für den Landtagswahlkampf in Thüringen das Missvergnügen, das Buch von Björn Höcke zu lesen. Und nicht erst seitdem bin ich der Meinung, dass man mit Blick auf die Führungsleute der AfD diese Frage mit Ja beantworten muss. Leute wie Björn Höcke klopfen nicht nur rechtsradikale Sprüche. Sie vertreten explizit ein faschistisches Weltbild. Und das verschleiert er auch nicht, er macht das ganz offen und transparent. Jede und jeder, der die AfD wählt, kann und muss das wissen.

 

Faschismus ist definierbar

Ich schreibe bewusst Faschismus. Und das nicht nur, weil man das im Fall Höcke seit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Meiningen ganz legal darf. Der Vorwurf Nazi ist schnell erhoben und fix getwittert. Im Zweifelsfall aber sind Nazis diejenigen, die in Deutschland im Zeichen des Hakenkreuzes Menschen ermordet und in Öfen verbrannt haben. Alle Nazis sind Faschisten. Aber nicht alle Faschisten sind Nazis. Faschismus aber ist eine präzise zu beschreibende politische Haltung. Sie beruht auf einem mythischen Verständnis von Nation, welche als organische Einheit von Individuum und Masse ein biologisch (reines) Volk ergibt, und dies ein Wesen, eine Entität ist. Dieses Wesen, der „Volkskörper“, steht über dem Staat und den Institutionen und der Verfassung.

 

Volksvertreter sollen nicht dem Staatsvolk dienen, sondern der unmittelbaren Weisung eines vorstaatlichen Wesens gehorchen. Deshalb ist dem Faschisten jede Form von demokratischer Staatlichkeit, also dem Verständnis, dass es Spielregeln und Aushandlungsprozesse, Parlamente und Gewaltenteilung gibt, ein Dorn im Auge. Er hasst die Werte der Moderne: Freiheit, Solidarität, Fortschritt. Und er hasst die Demokratie.

 

Die völkische Partei und der Staat sollen im Faschismus eins werden. Die Polizei soll parteipolitisch gelenkt werden. Die Presse darf nicht mehr frei berichten, sondern muss dienen. Kunst und Kultur sollen nicht irritieren, neue Möglichkeiten weisen, alternative Welten aufzeigen, sondern gelenkt und gesteuert sein. Sie sollen die Herrschaft nicht in Frage stellen, sondern stützen. Weil ein Volksgeist selten aus sich heraus zu verstehen ist, braucht es einen Übersetzer des wesenhaften Raunens aus der Vorwelt, also einen Führer (tatsächlich ehermännlich). Er umgibt sich in der Regel mit einer kleinen Gruppe Eingeweihter. Der Faschismus ist eine Diktatur Weniger. Wer nicht zum Volk gehört, ist ein Feind und soll verschwinden. In der milden Form verschwinden aus dem Land, in der radikalen Form vom Erdboden.

 

Kitschig, schwülstig, feist – und lupenrein faschistisch

Höckes Buch ist kitschig, schwülstig, feist – und es skizziert lupenreinen Faschismus. Dass sein Verständnis von Volk und Nation ein biologisches ist, kann man beispielweise an Sätzen wie diesen festmachen: „Die Weißen und die Schwarzen setzten sich vor ihrer Amerikanisierung aus mehreren hochdifferenzierten Völkern mit eigenen Identitäten zusammen. Jetzt sind sie in einer Masse aufgegangen. Diesen Abstieg sollten wir Europäer vermeiden und die Völker bewahren.“ Es sei, schreibt Höcke, die genetische Disposition, die den Unterschied zwischen Menschen macht, die Haut- und Haarfarbe, nicht ihre Werte, ihr Eintreten für Freiheit oder Recht beziehungsweise für Unfreiheit oder Unrecht. Entsprechend entscheidet für ihn über den Zustand eines Gemeinwesens nicht die soziale Frage, Transparenz, Freiheit des Individuums, sondern dessen Paarungsverhalten. Das darf eben nicht mehr frei sein, sondern muss rassistisch gesteuert werden. Höcke nennt das Endogamie, also Paarung innerhalb der eigenen „Volksgruppe“. Entsprechend will Höcke einen Gutteil deutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ausweisen, damit „die brutale Verdrängung der Deutschen aus ihrem angestammten Siedlungsgebiet“ gestoppt wird.

 

Die modernen Städte als „Siedlungsgebiet“ zu bezeichnen, ist eigentlich saukomisch. Aber das Lachen bleibt einem im Hals stecken. Denn wie so häufig spielt Höcke mit dem Jargon der Nazis, der Vorstellung vom „Lebensraum“, von „Germanisierung“ und letztlich der Vernichtung von „rassisch Unerwünschten“. „Siedlungsraum“ beispielsweise benutzt Hitler in einer Rede vor Generälen 1937. In der so genannten Hoßbach-Niederschrift dieser Rede heißt es: „Das Ziel der deutschen Politik sei die Sicherung und die Erhaltung der Volksmasse und deren Vermehrung. Somit handele es sich um das Problem des Raumes. Die deutsche Volksmasse verfüge über 85 Millionen Menschen, die nach der Anzahl derMenschen und der Geschlossenheit des Siedlungsraumes in Europa einen in sich so fest geschlossenen Rassekern darstelle, wie er in keinem anderen Land wieder anzutreffen sei und wie er andererseits das Anrecht auf größeren Lebensraum mehr als bei anderen Völkern in sich schlösse.“

 

Björn Höcke und der Jargon der Nazis

Bei Björn Höcke muss man lesen: „Vor allem eine neue politische Führung wird dann schwere moralische Spannungen auszuhalten haben: Sie ist den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet und muss aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwider laufen. […] Neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein großangelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein. Und bei dem wird man, so fürchte ich, nicht um eine Politik der »wohl-temperierten Grausamkeit«, wie es Peter Sloterdijk nannte, herumkommen. Das heißt, dass sichmenschliche Härten und unschöne Szenen nicht immer vermeiden lassen werden. Man sollte seitens der staatlichen Exekutivorgane daher so human wie irgend möglich, aber auch so konsequent wie nötig vorgehen. […] Existenzbedrohende Krisen erfordern außergewöhnliches Handeln. Die Verantwortung dafür tragen dann diejenigen, die die Notwendigkeit dieser Maßnahmen mit ihrer unsäglichen Politik herbeigeführt haben.“

 

Nicht nur, dass demnach Schuld an der Brutalität des Faschismus diejenigen haben, die für eine freie und offene Gesellschaft streiten, Höcke sieht auch „existenzbedrohende Krisen“ – und damit meint er nicht Wirtschaftskrisen, die Klimakrise oder Hartz IV, sondern den Verlust der Identität des „deutschen Volkes“. Höckes Propagierung „wohl-temperierter Grausamkeit“ sowie seine Deportationsphantasie muss man vor dem Hintergrund der rechtsterroristischen Morde eindeutig als Ermutigung beziehungsweise Anstachelung zur Tat lesen.

 

Aufruf zur Gewalt

Aber Höckes Beschreibung der Nazi-Zeit ist mit „verharmlosend“ verharmlost. Für ihn haben die Nazis „mit brachialen Mitteln und Methoden die Krisen der Moderne in den Griff zu bekommen“ versucht. Das sind dann aber exakt die Mittel, die er auch für unsere Zeit für angemessen hält. Entsprechend fordert er, dass die Bundeswehr wieder eine „genuin deutsche Armee [wird], die an die großen nationalen Militärtraditionen anknüpfe“. Im Zusammenhang dieses Buches kann man solch ein Zitat nicht mal mehr auf die grauenhafte Kriegsführung im Ersten und Zweiten Weltkrieg beziehen (davor gab es keine „deutsche Armee“), sondern man muss darin auch die Bereitschaft zum Einsatz im Inneren samt Durchsetzung seiner Deportationspläne lesen.

 

Übertrieben? Leider nein. Denn Höcke schreibt, „wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen“, dann sei das notwendig. Was „verlieren“ heißt, wird nicht gesagt. Muss es auch nicht.

 

Die Seiten 251-255 lesen sich wie eine Anleitung zum Bürgerkrieg: „Als Vater von vier Kindern wünsche ich mir natürlich eine friedliche Wende in unserem Land. […] Ansonsten wird ein neuer Karl Martell vonnöten sein, um Europa zu retten.“ Karl Martell rettete das „christliche Abendland“ in der Schlacht bei Poitiers gegen die Araber. „Eine neue Elite“ soll diesen Kampf führen. Das ist eine Absage an die Demokratie, die Gewaltenteilung, das Grundgesetz. Bis das geschehen ist, soll sich im ländlichen Raum, „besonders im Osten“, eine „Auffangstellung“ bilden, die dann zu einer „Ausfallstellung“ wird. „Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutsche keine halben Sachen“, schreibt Höcke. Das ist nicht nur der Versuch einer missbräuchlichen und schändlichen Anknüpfung an die Zeit der friedlichen Revolution 1989/1990, sondern auch eine klare Skizze für eine gewaltbereite Auseinandersetzung und eine offene Drohung gegen „Fremdlinge“ und „Liberale“. Es ist ein Aufruf zur Gewalt.

 

Führererwartung

Wer Demokratie und Rechtstaatlichkeit verpflichtet ist, gehört für Höcke zu den „mediokren Schweinchen-Schlau-Figuren der heutigen Parteiendemokratie“ und ist wahlweise psychopathisch, hysterisch oder autoaggressiv. Dies sind übrigens Attribute für krankhaftes Verhalten. Und in Höckes Weltbild soll, was krank ist, nicht kuriert, sondern ausgemerzt, getilgt werden. Entsprechend befinden wir uns nach Höcke „im letzten Stadium der Demokratie, der Ochlokratie.“ Ochlokratie bedeutet Pöbelherrschaft. Unsere Republik wird seiner Meinung nach also vom Pöbel regiert. Nein, er meint damit nicht sich, die AfD oder den Mob von Chemnitz, sondern die rechtmäßig demokratisch gewählte Bundesregierung, das Parlament, die Parteien.

 

Logisch ist für einen wie ihn demnach, dass aus der Demokratie selbst keine Rettung kommen kann, sondern nur von einem „uomo virtuoso“. Der könne „als alleiniger Inhaber der Staatsmacht“ ein zerrüttetes Gemeinwesen wieder in Ordnung bringen“. Dass er selbst sich für diesen Führer hält, der sich der„besonderen Verantwortung für das Ganze bewusst werden“ muss, braucht er dann nicht mehr schreiben.

 

Faschisten erkennen und so nennen

Auch wenn ich es falsch finde, ich kann akzeptieren, dass Menschen enttäuscht sind und aus Frust Protestparteien wählen. Auch wenn ich es nicht richtig finde und denke, die Geschichte hat uns Besseres gelehrt, weiß ich, dass es national und auch national-konservativ denkende Menschen gibt. Und ich höre mir auch an, dass Menschen Angst vor „Ausländern“ haben, auch wenn es in ihrer Region gar keine gibt. Aber wir haben in Deutschland wieder mordende Rechtsradikale, Menschen, die auf Menschen und auf Gotteshäuser schießen, die Todeslisten anlegen, die Waffen sammeln und für den Umsturz trainieren, die Juden undMuslime – oft Deutsche – ermorden wollen. Und in der sublimen Verquastheit seines Buches ermutigt Björn Höcke genau dazu.

 

Höcke und diejenigen, die für ihn Wahlkampf machen, kämpfen für ein faschistisches Weltbild. Und niemand sollte denken, dass er es nicht so meint. Dieser Glaube hat schon einmal getäuscht. Höcke sagt, was er denkt und wird machen, was er sagt. Und niemand sollte glauben, dass Worte nicht den Weg zur Tat ebnen. Sie tun es. Sie schaffen eine Welt. Und wir sind gefragt wie nie in der jüngeren Geschichte Deutschlands, dies nicht zuzulassen. Und den Anfang sollte man tun, indem man sagt, was ist. Solange die AfD Faschisten wie Höcke nicht eindeutig ausgrenzt und ausschließt, ist die AfD für mich eine faschistische Partei.