Reportage "Einheitsland"

Dissident, Wendegewinner, AfD-Mitglied

Von Birgit Wärnke, NDR

https://www.tagesschau.de/inland/einheitsland-101.html

 

"Die Nachbarn plagt die Neugier sehr: Sie warteten der Wiederkehr" - voller Inbrunst singt Werner Molik diese Zeile von Joseph Haydn. Er hat seine Gäste zu einem "musikalischen Aperitif" geladen, so nennt Molik es. Vier klassische Lieder begleitet von seiner Klavierlehrerin. Der Hotelier lässt dazu einen Wein reichen. Das Kaminzimmer seines Strandhotels in Heringsdorf ist gut gefüllt, 25 Gäste, nur wenige Plätze bleiben frei.

 

An den Wänden des Hotels hängen mit großen Augen und gekringelten Hörnern Köpfe von Antilopen. Molik hat die Tiere selbst geschossen. Er fährt ab und zu mit seiner Familie nach Afrika, geht dort auf Großwildjagd. Die Köpfe bringt er als Trophäen mit nach Hause, nach Usedom, in sein Hotel. "Die passen farblich hier so schön rein", sagt er.

 

Der Mann könnte mit sich im Reinen sein, ein ehemaliger Dissident und Häftling, der es nach der Wende auf Usedom zu einem Vier-Sterne-Hotel gebracht hat. Doch in Werner Molik arbeitet es weiter - politisch fühlt er sich heute wieder an den Rand gedrängt.

 

Der Wunsch: Dazugehören

Aufgewachsen ist der 68-Jährige in der DDR, in Thüringen. Er studiert in Ost-Berlin an der Humboldt Universität Wirtschaftswissenschaften und ist in der katholischen Studentengemeinde aktiv. "Als mich mein Professor fragte, ob ich nicht auch in die SED eintreten wolle, hatte ich für eine Sekunde ein Glücksgefühl und dachte, endlich kann auch ich dazugehören", erzählt Molik. Denn als Katholik war man in der DDR außen vor, gehörte nicht zur sozialistischen Gemeinschaft.

 

Molik entscheidet sich aber gegen die SED. Trotzdem soll er nach dem Studium in der Staatsbank der DDR anfangen, muss sich dafür aber von seinen Westkontakten distanzieren: "Ich wollte dieses Versteckspiel nicht und habe all meine Westkontakte angegeben. Die sind aus allen Wolken gefallen." Molik berichtet, dass ihm an der Universität die Promotion aberkannt wurde und dass er fortan immer stärker in die Oppositionsrolle rutschte.

 

Der Traum vom Westen

Dem jungen Mann ist die DDR zu provinziell, er will Freiheit im Westen und stellt vier Ausreiseanträge. Das sei als Druck "auf die staatlichen Organe" gewertet worden. "Ich musste das Risiko eingehen, ins Gefängnis zu kommen, um den Rest meines Lebens nicht in der DDR zu verbringen", so Molik.

 

1977 wird er verhaftet - im Westen berichten die Zeitungen darüber. Molik kommt in Stasi-Untersuchungshaft. "Man wollte mir immer mehr nachweisen und hat mich dann auch wochenlang in der Zelle gelassen und gar nicht verhört."

 

Einer von 200.000

Experten schätzen, dass zu DDR-Zeiten etwa 200.000 Menschen politisch inhaftiert waren. Molik sitzt anderthalb Jahre in Haft. 1979 kauft ihn die Bundesrepublik für knapp 100.000 D-Mark frei.

 

Der Freikauf politischer Häftlinge durch den Westen war für die DDR ein lukrativer Geschäftszweig: Bis 1989 kommen so um die drei Milliarden D-Mark in die Kasse. Mehr als 33.000 Häftlinge wurden dafür vorzeitig aus der Haft entlassen.

 

Neuanfang und Rückkehr

Molik kommt nach dem Freikauf nach Düsseldorf, arbeitet dort 13 Jahre als Banker. Als 1989 die Mauer fällt und viele seiner westdeutschen Kollegen schon bald im Osten billig Immobilien kaufen wollen, fährt auch Molik an die Ostsee. Er landet Anfang der 1990er-Jahre mit seiner Familie auf der etwas unbekannteren Insel Usedom, in Heringsdorf: "Ich war so erstaunt über diese Bäderarchitektur mit diesen prächtigen Villen, da wollte ich spontan das schönste Haus kaufen."

 

Das schönste Haus hat Molik nicht bekommen. Aber ein etwas heruntergewirtschaftetes Hotel direkt an der Promenade. Molik erzählt, er habe es nach zähen Verhandlungen für 1,75 Millionen D-Mark von der Treuhand erworben. Mit vielen Investitionsfördermitteln baute er es zu einem Vier-Sterne-Hotel aus. Mittlerweile besitzt der erfolgreiche Hotelier im Seebad noch ein zweites Haus.

 

Und doch unzufrieden

Molik ist zum zweiten Mal verheiratet. Er ist Vater von fünf Kindern, die beiden jüngsten sind zehn Jahre alt. Er sieht sich als Wendegewinner - trotzdem ist er unzufrieden.

 

Er schimpft auf das "politisch korrekte Propagandafernsehen". Er behauptet, "dass die Meinungsfreiheit in Gesamtdeutschland immer mehr eingeschränkt werde". Er redet von "einer politischen Klasse, die die Deutschen minimalisiert indem sie ein Millionenheer an kulturfremden Menschen ins Land lässt". Er sagt, "seine Kinder können nicht mehr in öffentliche Schwimmbäder gehen". Im Sommer 2019 gibt es zwölf Flüchtlinge auf Usedom.

 

Heute ist Molik AfD-Mitglied

40 Jahre sind vergangen, seitdem die Bundesrepublik Molik aus der Haft in der DDR freigekauft hat. Einst war er dort Dissident, hat sich für die Freiheit eingesetzt. Und heute? Mittlerweile ist er Mitglied in der AfD. Wieder sieht er sich in der Rolle des Oppositionellen.

 

Der Psychiater Hans-Joachim Maaz wird vom "Spiegel" mit den Worten zitiert, Dissidenten seien auch Narzissten gewesen. Ihre Persönlichkeitsstruktur könne sie dazu treiben, wieder zu Dissidenten zu werden. Die Ex-DDR-Bürgerrechtlerin Angelika Barbe wiederum sieht in solchen Deutungen eine Diskriminierung der ehemaligen Dissidenten - und mehr noch einen Versuch, die Kritik an der Regierung insgesamt zu diskreditieren.

 

Werner Molik lebt nicht mehr in einer Diktatur, und er ist Mitglied einer Partei, die sich gegen eine offene Gesellschaft stellt. Warum er im demokratischen Deutschland so geworden ist, woher seine diffuse Unzufriedenheit kommt, das kann er nicht erklären. Auch nach mehrmaligem Nachfragen nicht. Ein bürgerlicher Radikaler im Ungewissen.

 

 

Kommentar:

 

Ein Mann, der fürchtet, seine minderjährigen Kinder in ein öffentliches Bad gehen zu lassen, weil es auf Usedom 12 (zwölf!) Ausländer gibt, muss Probleme haben, die jenseits der normalen Wahrnehmung sind. Vielleicht wäre ihm eine Konsultation beim Arzt anzuraten.

 

Wanda Müller