Zum Auftritt von Xavier Naidoo am 1. Dezember in der Olympiahalle

 

https://lbga-muenchen.org/2019/11/26/zum-auftritt-von-xavier-naidoo-am-1-dezember-in-der-olympiahalle/

 

Am 1. Dezember 2019 wird Xavier Naidoo im Rahmen seiner aktuellen Tournee in der Olympiahalle auftreten.[1] In der Vergangenheit ist er bereits mehrfach mit antisemitischen, verschwörungsideologischen und reaktionären Aussagen, in Interviews wie auch in Songtexten, aufgefallen, die wir im Folgenden sammeln und kommentieren werden. Zwar ist eine Absage des Konzerts mittlerweile ausgeschlossen, doch wird es vor Ort Proteste geben, zu deren Teilnahme wir aufrufen.

 

Einen besonders tiefen Blick ins Weltbild Naidoos bietet sein Song „Raus aus dem Reichstag“ aus dem Jahr 2009. In diesem wird eine Dichotomie zwischen einem „uns“ und einem „ihr“ konstruiert. Mit den Angesprochenen sind insbesondere Politiker gemeint: „Und dann geht’s ab in die Politik. / Klar, dass Ihr ’n Hass auf’s Volk schiebt.“ Und mit dem „uns“ das Volk bzw. konkreter die Deutschen: „Deutschland ist ein Land mit Ehre/ Ein Land mit Fehlern, sogar mit schweren / Und trotzdem muss ich jetzt aufbegehren / Ich habe Lust bekommen, mich euch gegen euch zu wehren […] Und ihr habt Deutschland schon viel zu viel angetan […] Um den Deutschen das Geld aus der Tasche zu ziehen.“ In der letzten Zeile wird schon ausgesprochen, worum es im Wesentlichen geht: Um die ökonomische und finanzielle Ausbeutung des deutschen Volkes durch Politiker*innen. Explizit angesprochen werden die CDU, Angela Merkel und weitere Politiker*innen dieser Partei. Eine implizit christliche Positionierung gewinnt der Text dadurch, der CDU das „C“, also das „Christliche“ abzusprechen: „Das C muss raus aus der CDU / Bleibt nur DU, kurz, du bist raus“. Angesprochen werden darüber hinaus auch Medien wie Springer und BILD, die als „Lakaien“ der Angesprochenen bezeichnet werden. Eine antisemitische Schlagseite gewinnt der Text mit den folgenden Zeilen: „Wie die Jungs von der Keinherzbank, die mit unserer Kohle zocken / Ihr wart sehr, sehr böse, steht bepisst in euren Socken / Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel / Der Schmock ist’n Fuchs und ihr seid nur Trottel.“ Auch hier findet sich eine dichotomische und moralisch aufgeladene Gegenüberstellung von „uns“ und der „Keinherzbank“ (offenkundig eine Anspielung auf die Kommerzbank), die mit dem Geld des Volkes spekuliere. Hinter den Banken und Spekulanten wird allerdings „Baron Totschild“ imaginiert. Bei diesem Begriff handelt es sich um eine aus Neonazikreisen geläufige Anspielung auf die jüdische Bankiersfamilie Rothschild.[2] In antisemitischen Verschwörungstheorien stand sie seit dem 19. Jahrhundert immer wieder im Zentrum.[3] Und auch die Nationalsozialist*innen bedienten sich für ihre antisemitische Hetze dieses Mythos‘: Das Propagandaministerium um Joseph Goebbels ließ 1940 den Film „Die Rothschilds“ drehen, der von einem gierigen jüdischen Bankier handelt.[4] Naidoo bewegt sich mit seinen Textzeilen folglich in bester faschistischer und antisemitischer Tradition. Wie die Nazis konstruiert auch Naidoo in seinem Song eine Dichotomie zwischen reichen jüdischen Bänkern und dem deutschen Volk, für deren Ausbeutung sie sich Presse und demokratischer Politiker*innen bedienen.

 

Dieser mittlerweile zehn Jahre alte Song entfacht bis heute Antisemitismus-Debatten um Naidoo und wird in diesem Zusammenhang bis heute zitiert – wohl auch deshalb, weil es eine glaubwürdige Distanzierung nie gegeben hat. Was man allerdings konstatieren kann, ist, dass Naidoo in jüngeren Songs vorsichtiger geworden ist. In seinem Lied „Marionetten“ von 2017 beschwört er eine ähnliche von Verschwörungsmythen durchsetzte Welt wie in „Raus aus dem Reichstag“: Auch hier findet sich die Dichotomie zwischen einem moralisch guten, aber betrogenen und als Marionetten fremdgesteuerten Volk und den Volksvertretern, die Naidoo als „Volksverräter“ verballhornt und als Puppenspieler bezeichnet. Der Begriff „Volksvertreter“ verweist erneut auf Politiker*innen, die das unschuldige Volk knechten und ausbeuten. Zugleich werden Parlamente als „Puppentheater“ bezeichnet, wodurch suggeriert wird, dass auch die Politiker*innen selbst fremdgesteuert werden – und in Deutschland keine Demokratie, sondern eine Diktatur im Hintergrund agierender, anonymer Mächte herrscht. Im Gegensatz zu „Raus aus dem Reichstag“ unterlässt Naidoo hier allerdings eine Identifikation der Hintergrundmächte mit Jüdinnen*Juden wie den Rothschilds.

 

Im Zusammenhang mit Antisemitismus ist darüber hinaus auf den Song „Wo sind sie jetzt?“ zu verweisen, den Naidoo gemeinsam mit Kool Savas unter dem Projektnamen Xavas 2012 veröffentlicht hat. Darin finden sich folgende Textzeilen: „Die Stadt strahlt grau, sie treffen sich im Keller und rasten aus / Zelebrieren den Satan schreien: ‚Lasst ihn raus! / Wir liefern dir ein Opfer gerade nackt im Rausch!‘ Niemand will drüber reden / Wenn die Treibjagd beginnt, zieh‘n sie los um zu wildern / Denn ihr Durst ist unstillbar und schreit nach ’nem Kind / Okkulte Rituale besiegeln den Pakt der Macht / Mit unfassbarer Perversion werden Kinder und Babies abgeschlachtet / Teil einer Loge, getarnt unter Anzug und Robe.“ Hier wird affirmativ der Mythos satanistischer Missbrauchsrituale präsentiert. Dabei handelt es sich um einen Verschwörungsmythos, der in den 1980/90er Jahren in den USA entstanden ist, aber auch in Deutschland grassiert. Wie von Naidoo und Savas erzählt, beschreibt der Mythos die Vorstellung bis in staatliche Behörden vernetzter satanistischer Sekten, die im Rahmen ihrer Rituale Menschen sexuell missbrauchen und die dadurch entstehenden Kinder verspeisen würden.[5] Diese Verschwörungsideologeme sind den antijudaistischen Ritualmordlegenden strukturell ähnlich – nicht zuletzt weil im christlichen Antijudaismus auch Jüdinnen*Juden stets mit Satan in Verbindung gebracht worden. Unseres Wissens ist der genaue Zusammenhang zwischen den antijudaistischen und den satanistischen Ritualmordlegenden bislang unerforscht, doch stellt dieser Mythos, wie von Naidoo und Savas präsentiert, ein weiteres Einfallstor in den Antisemitismus dar. In dem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, inwieweit die antisemitischen Entgleisungen Naidoos nicht in seinem christlich-fundamentalistischen Weltbild[6] gründen, dem ein Antijudaismus inhärent ist.

 

Doch sind diese Lieder nicht die einzigen Probleme bei Naidoo. Im Song „Goldwaagen/Goldwagen“, aus dem gleichen Album wie „Marionetten“, reiht er eine ganze Reihe Verschwörungstheorien aneinander: Für die islamistischen Anschläge in New York (9/11), Madrid und London wird der CIA verantwortlich gemacht; der durch Daniele Ganser popularisierte Verschwörungsmythos um die Geheimarmeen der NATO („Gladio“), die von diesem hinter diesen Anschlägen vermutet werden, wird besungen; die Presse wäre von der Atlantik-Brücke, einem US-amerikanisch-deutschen Think-Tank, gekauft; und sogar der Tod Michael Jacksons sei inszeniert gewesen, um von einer Preisverleihung an Angela Merkel medial abzulenken. Und im 2017 veröffentlichten Song „Nie mehr Krieg“ heißt es: „Muslime tragen den neuen Judenstern / Alles Terroristen, wir haben sie nicht mehr gern.“ Offensichtlich wird hier auf das rassistische Vorurteil angespielt, Muslimas*Muslime seien potentielle und tatsächliche Terrorist*innen, was mit der Diskriminierung der Jüdinnen*Juden zur Zeit des Nationalsozialismus gleichgesetzt wird. Angesichts der staatlichen Diskriminierung von Jüdinnen*Juden, die mit der Verwendung des Judensterns einherging und in ihrer systematischen industrialisierten Vernichtung kulminierten, stellt diese Gleichsetzung eine dramatische Relativierung der Leiden der jüdischen Bevölkerung zur Zeit des NS dar – ungeachtet dessen, wie inakzeptabel der aktuelle antimuslimische Rassismus ist.

 

Man kann also zusammenfassend sagen, dass sich eine ideologische Nähe zum Rechtsextremismus durch das gesamte musikalische Oeuvre Naidoos zieht. Doch bleibt sie nicht dort stehen und findet ihren Weg auch zu den Aktivitäten Naidoos außerhalb seines künstlerischen Schaffens. In Interviews verbreitete er mehrfach den Mythos, Deutschland hätte keinen Friedensvertrag und sei ein von den USA besetztes Land.[2] Exakt dieser Mythos bildet das ideologische Zentrum eines durch und durch rechtsextremen Weltbildes, das sich rhetorisch als Pazifismus zu inszenieren vermag. Tatsächlich fungiert aber der 2+4-Vertrag von 1990 als faktischer Friedensvertrag, in dem alle relevanten Punkte eines ohnehin existenten Friedensschlusses zwischen der Bundesrepublik und den Alliierten abgehandelt wurden. Rechtsextreme bestehen aber bis heute auf den Mythos, es gäbe keinen derartigen Vertrag. Damit verknüpft ist auch die Vorstellung, Deutschland sei nicht souverän und immer noch von den Siegermächten besetzt.[7] Der Pazifismus der extremen Rechten imaginiert folglich einen internationalen Kriegszustand, in dem sich Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg befindet, und fordert einen Friedensschluss, der diesen Zustand beseitigt. Folglich geht es diesen Pazifist*innen nicht um die Beendigung internationaler militärischer Konflikte, sondern um die Stilisierung eines deutschen Opfermythos mit deutlich revisionistischen Anklängen: Denn wer einen neuen „Friedensvertrag“ fordert, impliziert auch eine Neuverhandlung der Beschlüsse des 2+4-Vertrags, zu denen beispielsweise auch die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnische Grenze gehört.

 

All dieser Revanchismus schwingt auch in Naidoos Interviewaussagen mit, selbst wenn er ihn nicht explizit ausspricht. Seine Nähe zum Rechtsextremismus ist damit evident – das gilt nicht nur für sein Weltbild, sondern ist auch räumlich zu verstehen. Belegt sind nämlich auch Auftritte von ihm auf Veranstaltungen der Reichsbürgerbewegung, einer Szene, die genau solche Inhalte wie von Naidoo verbreitet teilt – nur dass sie sie in ihrer ganzen antisemitischen, nationalistischen und rassistischen Konsequenz offen artikuliert. Auch von diesen Auftritten hat sich Naidoo nie distanziert. Im Gegenteil rechtfertigte er sie sogar mit folgender Aussage: „Man kann es mir doch nicht verübeln, mich zu informieren.“[2] Offenkundig informierte sich Naidoo bei den Reichsbürger*innen über den Zustand des Friedensvertrags und die Machenschaften von CIA und Rothschilds.

 

Zu diesem hochgradig reaktionären Weltbild passen auch homophobe Auslassungen Naidoos, wie sie sich im bereits erwähnten Song „Wo sind sie jetzt?“ von Xavas finden: „Ich schneid euch jetzt mal die Arme und die Beine ab / Und dann fick ich euch in den Arsch so wie ihr’s mit den Klein‘ macht / Ich bin nur traurig und nicht wütend trotzdem will ich euch töten / Ihr tötet Kinder und Föten und dir zerquetsch ich die Klöten / Ihr habt einfach keine Größe und eure kleinen Schwänze nicht im Griff / Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist?“ Von den Mordphantasien gegen Pädophile abgesehen, werden hier diese, wie in der letzten Zeile anklingt, mit Homosexuellen gleichgesetzt. Zu Recht gab es gegen Naidoo und Savas eine Anzeige von Linksjugend [’solid] und dem Lesben- und Schwulenverband in Deutschland.[8]

 

Bekanntermaßen hat Xavier Naidoo durch einen Gerichtsprozess erwirkt, dass man ihn nicht mehr „Antisemit“ nennen darf.[9] Das tun wir ausdrücklich auch nicht. Doch zeigt sich auch hier eine bemerkenswerte Parallele zu Joseph Goebbels und dessen eigener Hetzkampagne gegen Jüdinnen*Juden. Zum Film „Die Rothschilds“ heißt es im betreffenden Wikipedia-Eintrag: „Joseph Goebbels hielt Der ewige Jude, Jud Süß und Die Rothschilds für so wichtig, dass er besondere Anweisungen für die Presse herausgab und am 26. April 1940 befahl, dass ‚bei der Vorpropaganda für die Filme Jud Süß und Die Rothschilds‘ in der Presse ‚nicht von antisemitischen Filmen geschrieben werden‘ dürfe. Das Publikum müsse glauben, ‚das Judentum, wie es ist‘, zu sehen. Goebbels’ Vorgaben standen in Einklang mit seiner Überzeugung, die NS-Propaganda könne nur dann effektiv sein, wenn sie nicht als Propaganda aufgefasst werde; die Intention müsse unmerklich sein.“[5] Ist es denkbar, dass auch Naidoo seine Intentionen unmerklich machen möchte? Dass er deswegen mit Klagen und Gerichtsprozessen reagiert, wenn man seine Aussagen als antisemitisch bezeichnet? Damit das Publikum glaube, von ihm zu hören, wie jüdische Bänker wie die Rothschilds wirklich wären? Man wird doch noch Fragen stellen dürfen.

 

Kurzum handelt es sich bei Naidoo um einen politischen Agitator, der rechtsextreme, homophobe, revanchistische, reaktionäre, verschwörungsideologische, antiamerikanische und (was man ihm noch vorhalten darf) antisemitische Ideologeme verbreitet. Unserer Vermutung nach gründet dies in seinem christlich-fundamentalistischen Weltbild. Eine Nähe zur extremen Rechten ist allein dadurch schon gegeben, dass Naidoo sie auch aktiv sucht. Als Person des öffentlichen Lebens ist er daher absolut inakzeptabel. Wir rufen zu Protesten gegen sein Konzert auf und fordern, dass er in München wie überall sonst ab sofort boykottiert wird.

 

[1] https://www.aida-archiv.de/termine/1-dezember-2019-3/, zuletzt aufgerufen am 26.11.2019.

 

[2] https://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2015/03/12/xavier-naidoo-skandal-mit-verspaetung_18941, zuletzt aufgerufen am 26.11.2019.

 

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Rothschild_(Familie)#Die_Rothschilds_als_Gegenstand_von_Hetzkampagnen_und_Verschw%C3%B6rungstheorien, jeweils zuletzt aufgerufen am 26.11.2019.

 

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Rothschilds_(1940), zuletzt aufgerufen am 26.11.2019.

 

[5] https://www.false-memory.de/wissenschaft/satanismus-und-ritueller-missbrauch/, zuletzt aufgerufen am 26.11.2019.

 

[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Xavier_Naidoo#Religi%C3%B6se_Einfl%C3%BCsse, zuletzt aufgerufen am 26.11.2019.

 

[7] https://www.vice.com/de/article/gqndyy/deutschland-hat-also-keinen-friedensvertrag-brd-gmbh-reichsbuerger-110, zuletzt aufgerufen am 26.11.2019.

 

[8] https://de.wikipedia.org/wiki/Xavier_Naidoo#Rezeption_und_Kontroversen, https://www.queer.de/detail.php?article_id=17473, zuletzt aufgerufen am 26.11.2019.

 

[9] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/urteil-im-prozess-gegen-xavier-naidoo-herber-rueckschlag-fuer-die-meinungsfreiheit-50963/, zuletzt aufgerufen am 26.11.2019.