Auf die Fresse

An „#allesdichtmachen“ beteiligte Schauspieler:innen zeigen sich über den Shitstorm entsetzt. Einer der Drahtzieher will ihn hingegen erwartet haben. Der „Tatort“-Regisseur Dietrich Brüggemann steht im Zentrum der Kampagne.


 

Von Daniel Laufer - in Demokratie - eine Ergänzung

https://netzpolitik.org/2021/allesdichtmachen-auf-die-fresse/


 

Die Aktion „#allesdichtmachen“ sollte wohl den Eindruck erwecken, dass lauter bekannte Schauspieler:innen Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus ablehnen. Doch in den zwei Tagen seit der Veröffentlichung der Clips auf YouTube ist dieses Bild ins Wanken geraten. Fast jeder dritte Beitrag wurde offenbar zurückgezogen, in den sozialen Netzwerken und Interviews gehen Teilnehmende auf Distanz, sie relativieren, sprechen von einem Missverständnis und bitten um Verzeihung.


 

Überraschend ist dabei vor allem, wie überrascht sich manche:r über die deutliche Kritik an der Aktion zeigt. Wieso würden 53 Schauspieler:innen praktisch mit Anlauf in einen Shitstorm springen?


 

Die Antwort auf diese Frage könnte mit Dietrich Brüggemann zu tun haben. Der Regisseur und Drehbuchautor ist in der deutschen Film- und Fernsehszene hoch angesehen, 2019 durfte er sogar beim Europäischen Filmpreis Regie führen. Zugleich ist er bestens vernetzt. Mit einer Reihe von Schauspieler:innen, die an „#allesdichtmachen“ mitgewirkt haben, drehte er zuvor eigene Filme, Richy Müller und Ulrich Tukur etwa spielten Hauptrollen in seinen „Tatort“-Produktionen.


 

Brüggemanns Anteil an der Aktion ist undurchsichtig, aber in der Geschichte über den Shitstorm ist der Filmemacher womöglich eine Schlüsselfigur. Auffällig ist: Wo andere zurückrudern, teilt der 45-Jährige jetzt erst so richtig aus. Am Freitagnachmittag beklagt er gegenüber netzpolitik.org am Telefon ein „alleiniges Regime des Coronavirus“, aus seiner pauschalen Ablehnung der Schutzmaßnahmen macht er keinen Hehl. Mehrere Beteiligte sehen ihn im Zentrum der Kampagne, er selbst hingegen spielt seine Rolle herunter.


 

Diese Aktion besteht aus 50 Einzelstimmen und ich bin eine dieser Einzelstimmen.“ Er sei nicht derjenige, der sich das alles ausgedacht habe, auch nicht der Urheber oder der Rädelsführer. Als wir ihn fragen, wer die Fäden zusammengeführt habe, spricht er bloß von einer „starken Gruppe“. Ob das heiße, dass die rund 50 Beteiligten über Entscheidungen abgestimmt hätten? „Ungefähr so, müssen Sie sich das vorstellen, strengen Sie Ihre Fantasie an!“


 

Unterschiedliche Vorzeichen

Aussagen von Beteiligten wecken Zweifel daran. Die Clips mögen allesamt unter der Überschrift „#allesdichtmachen“ erschienen sein, doch die Vorzeichen, unter denen Einzelne an der Aktion mitgewirkt haben, unterschieden sich zum Teil offenbar deutlich.


 

So meldete sich am Morgen nach der Veröffentlichung der Wiener Schauspieler Manuel Rubey zu Wort. Eine nicht näher benannte Person, die er sehr schätze, habe ihn gefragt, ob er einen Beitrag über die Bedeutung der Kunst machen wolle – die übrigen Videos von „#allesdichtmachen“ habe er gar nicht gekannt, sagt er in einem Video, das er auf Twitter veröffentlicht hat.


 

Tatort“-Kommissar Richy Müller berichtete dem Fernsehsender ntv hingegen, er sei gefragt worden, ob er bei einer Aktion für jene Menschen mitwirken wolle, die „beim Lockdown durchs Raster fallen, die man nicht wahrnimmt“.


 

Der Schauspieler Kida Khodr Ramadan („4 Blocks“) war an „#allesdichtmachen“ nicht beteiligt, nach eigenen Angaben aber angefragt worden, erzählt er in einem Video auf Instagram. Er habe dabei jedoch kein gutes Gefühl gehabt, weil ihn die Erfinder der Aktion nie richtig aufgeklärt hätten. Ramadan zufolge hätten sie verschwiegen, „um was es geht und was es soll“.


 

Autor, Regisseur, Cutter

Es ist nicht bekannt, wer genau Ramadan kontaktiert haben soll. Richy Müller sagte ntv, er sei von Brüggemann angesprochen worden, mit dem er sehr gern und sehr vertraut zusammenarbeite. „Ich dachte eigentlich, dass er der Kopf der Aktion ist, deshalb habe ich das nicht weiter hinterfragt.“


 

Der Filmproduzent Bernd Katzmarczyk Wunder, der von München aus arbeitet, erzählte dem NDR-Magazin ZAPP, Brüggemann sei einer von drei Initiatoren gewesen, gemeinsam mit den Schauspielern Jan Josef Liefers und Volker Bruch. Wunder müsste wissen, wovon er spricht – mit seiner Firma steht er im Impressum der offiziellen Website. ZAPP zitiert ihn auch mit der Aussage, er selbst und Brüggemann hätten die Videos in Berlin, München und Wien gedreht und schließlich geschnitten.


 

Das RedaktionsNetzwerk Deutschland schreibt, der Regisseur habe die meisten der Clips gedreht. Rund zwei Dutzend der Videos, in denen vorwiegend in Berlin lebende Schauspieler:innen auftreten, wurden nachvollziehbar im selben Raum gedreht.


 

Der Wahlberliner Brüggemann räumt grundsätzlich ein, Schauspieler:innen ermuntert zu haben, bei „#allesdichtmachen“ mitzumachen, auch gibt er zu, mehr als nur sein eigenes Video gedreht zu haben – auch wenn nicht sämtliche in Berlin entstandene Videos von ihm gedreht worden seien, etwa weil manche sich selbst mit dem Handy aufgenommen hätten.


 

Auch die Texte, welche die Schauspieler:innen vortragen, stammen teilweise aus seiner Feder. „Irgendwelche Leute haben Textfetzen in die Runde geworfen, dann haben andere Leute was dazu geschrieben“, sagt Brüggemann. Er habe nicht Buch geführt, welchen Text er geschrieben habe und welchen nicht, betont aber: „Ich als Autor und Regisseur bin natürlich in der Lage, etwas dazu beizutragen.“


 

Auch inhaltlich, könnte man sagen, ist Brüggemann durchaus erfahren darin, die Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus zu kritisieren. „#allesdichtmachen“ ist nur eine Form, die seine Pauschalkritik in den vergangenen Monaten angenommen hat. Er hat noch weitaus mehr geschrieben als Texte für Videos, die nun einen Shitstorm ausgelöst haben.


 

Steckt euch eure Hygienemaßnahmen in den Arsch“

Auf dem Soundcloud-Profil mit dem Namen „Noisy Nancy“ fand sich ein Song, der mit den folgenden Zeilen beginnt: „Steckt euch euren Polizeistaat in den Arsch, steckt euch eure Maskenpflicht in den Arsch, steckt eure Abstandsregeln in den Arsch, steckt euch eure Hygienemaßnahmen in den Arsch.“


 

Noisy Nancy“ ist ein kaum bekanntes Projekt, hinter dem niemand sonst steckt als Dietrich Brüggemann. Bei der Musik handelt es sich offenbar um ein auf „Querdenken“-Demos beliebtes Lied, das er neu aufgelegt hat. Seit seine Autorenschaft bekannt wurde, hat jemand den Track von der Musikplattform Soundcloud entfernt.


 

Auf seinem Blog, wo Brüggemann vor allem oberflächliche Gesellschaftskritik veröffentlicht, stehen noch immer Texte, in denen er pauschal die Schutzmaßnahmen in Frage stellt. Schon im März 2020, als die Pandemie mit inzwischen mehr als drei Millionen Toten erst ganz am Anfang stand, beklagte er demnach „gelegentlich totalitäre Züge“.


 

Im vergangenen Monat erschien auf dem Blog ein wohl satirisch gemeinter Ausblick auf eine mögliche Zukunft. Darin beschreibt er eine fiktive Chronologie mit einem noch lange andauernden Lockdown und neuen Gesetzen, wie man sie höchstens aus autoritären Staaten kennt.


 

Im Gespräch mit netzpolitik.org sagt der Filmemacher, er würde niemals leugnen, dass das Coronavirus etwas sei, das weit über eine saisonale Atemwegserkrankung hinausgehe. Aber er sagt auch Dinge wie: „Ich möchte mal eine klare Untersuchung sehen, ob die Maskenpflicht überhaupt etwas bringt oder nicht.“ Dabei gibt es solche Untersuchungen längst, Forscher:innen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz etwa kamen in einer Studie zu dem Schluss, dass ein Mund-Nasen-Schutz das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus um fast die Hälfte senkt.


 

Der Regisseur gibt an, er lese eigentlich lieber die Süddeutsche Zeitung, müsse sich Nachrichten zu „alternativen Ansätzen ohne Lockdown“ nun aber „irgendwie in alternativen Medien zusammensuchen“.


 

Ganz allgemein könnte man wohl sagen: Mancher, der sich sogenannten Alternativmedien zuwendet, tut dies auch, um sich die Wahrheit auszusuchen, an die er glauben möchte.


 

Dass es Auswirkungen auf eine Aktion wie „#allesdichtmachen“ hat, wenn jemand die Maßnahmen pauschal ablehnt, wie Brüggemann das tut, und dann auch noch an den Texten mitwirkt und viele der Videos inszeniert, scheint vorstellbar. Mit dem, was dabei am Ende herausgekommen ist, sind nicht mehr alle Beteiligten zufrieden.


 

Brüggemann erwartete einen Shitstorm – andere wohl nicht

Auf der Website von „#allesdichtmachen“ ist an diesem Samstag ein langer Text erschienen. „Dies ist kein offizielles Statement von sämtlichen Teilnehmer:innen der Aktion“, steht darunter. Diffus bleibt damit, wessen Sichtweise es tatsächlich entsprechen soll. Die Verfasser:innen schreiben aber: „Einige aus der Gruppe sind erschrocken über den Shitstorm.“


 

Die Meinungen darüber, inwiefern „#allesdichtmachen“ sein Ziel erreicht hat, gehen auseinander. Für die zahlreichen Schauspieler:innen, die ihre Beiträge zurückgezogen haben – darunter dem Anschein nach auch Manuel Rubey und Richy Müller – dürfte die Einschätzung eher negativ ausfallen. Heike Makatsch, die als Erste einen Rückzieher gemacht hat, versah ihre Bitte um Entschuldigung auf Instagram zunächst mit dem Hashtag „#womöglichgescheitert“.

Dietrich Brüggemann, der maßgeblich zu der Kampagne beigetragen hat, wertet die „überschäumenden Reaktionen“ indes als Erfolg. Die Aktion habe eine Wirkung erzielt, etwas ausgelöst, sagt er. Den Shitstorm, räumt er ein, habe er erwartet. Damit scheint er sich von einigen Schauspieler:innen zu unterscheiden, die bloß ihren Text eingesprochen haben wollen und nun in den sozialen Medien und in Interviews Schadensbegrenzung betreiben.


 

Brüggemann dagegen teilt gegen Kritiker:innen weiter aus. Er schimpft, die Leute verlören jedes Maß, im Prinzip sei es ein Lynchmob, der sich da zusammenrotte, und Leute privat und beruflich fertigmachen wolle. „Das ist in der Struktur faschistoid.“ Auf Twitter teilte er die Behauptung, „#allesdichtmachen“ sei viel weniger Kritik an den Maßnahmen und der Regierung, als an denen, die laut und entrüstet bellten.


 

Es gibt einen alten Artikel über Brüggemann, ausgerechnet in der Süddeutschen Zeitung, der er heute Alternativmedien vorzieht. Der Text handelt von seiner Band mit dem Namen „Theodor Shitstorm“, was wohl eher Zufall ist. Aber der Regisseur verrät auch eines seiner „Lieblingsthemen“, das rückblickend viel mit dem zu tun haben könnte, wozu sich nun „#allesdichtmachen“ entwickelt hat: „Auf die Fresse.“


 

Korrekturhinweis: Wir hatten zunächst geschrieben, der „Noisy Nancy“-Song sei auf einer „Querdenken“-Demo gespielt worden. Offenbar handelte es sich dabei um eine andere Fassung des Liedes, die nicht von Brüggemann stammt. Wir haben das korrigiert.