Fall des Eisernen Vorhangs


 

Der wahre Grund für den Untergang der Sowjetunion


 

https://www.t-online.de/nachrichten/wissen/geschichte/id_90007098/untergang-der-udssr-1991-was-putin-vom-wahren-ende-der-sowjetunion-lernen-kann.html


 

Von Wladimir Kaminer


 

1991 ging die Sowjetunion unter. Nicht, weil es zu wenig zu essen gab, sondern weil der Song einer deutschen Band den Geist der Revolution verbreitete. Wenn etwas die Herrschaft von Wladimir Putin bedroht, dann wieder die Musik, sagt Wladimir Kaminer.


 

2021 jährt sich die Auflösung meiner Heimat, der Sowjetunion, zum 30. Mal. Noch im Frühjahr 1991 hatte unser damaliger Generalsekretär Michail Gorbatschow ein Referendum durchgeführt, ob die Sowjetunion weiterbestehen oder sich auflösen sollte. 76 Prozent der Wahlberechtigten hatten sich für den Erhalt ausgesprochen.


 

Weil aber unsere Führung ganz genau wusste, dass die sowjetischen Menschen immer das eine sagen und das andere meinen, beschloss sie, die Sowjetunion aufzulösen. An ihrer Stelle sollte eine neue Union der unabhängigen Republiken entstehen: Doch kaum löste sich der Bund, rannten die Republiken auseinander. Die regionalen Eliten hatten das Blut der Macht geleckt.


 

Weltraumausflüge statt Butter

Das erste sozialistische Land der Welt, ein revolutionäres Projekt, ging nach rund 70 Jahren zu Ende. Was aber war der wahre Grund des Untergangs, wo kam der Wurm des Zweifels her?


 

Bis heute streiten sich die Geister, was dem größten Land der Welt den Todesstoß versetzt hatte. War es der Kalte Krieg oder die Konkurrenz im Weltall, also die Notwendigkeit, immer neue Raketen zu bauen auf Kosten der verarmten Bevölkerung? In der Tat kümmerte sich die sowjetische Führung viel mehr um die Weltraumforschung als um den Wohlstand der Bürger.


 

Doch irgendwie hatten die sowjetischen Menschen dann doch Verständnis dafür, sie freuten sich über jeden Raketenstart im Fernsehen. Ich bin 1967 in Moskau auf die Welt gekommen. Allein in diesem Jahr sind die sowjetischen Kosmonauten 73 Mal ins All geflogen. Gleichzeitig gab es Engpässe mit Waren des täglichen Bedarfs, es gab keine Butter und es wurden zu wenig Hosen genäht. Einige naive Romantiker meinten, es wäre doch für alle von Vorteil, wenn wir ein paar Raketen weniger, dafür ein Paar Hosen mehr produziert hätten.


 

Die vernünftigen Pragmatiker widersprachen. Unser sozialistisches System war nicht für die Lösung der alltäglichen Probleme gedacht. Es konnte wunderbar Projekte entwickeln, die eine einmalige Kraftanstrengung erfordern, wie eine große Rakete ins All fliegen zu lassen.


 

Und dann auch noch die Sache mit den Hosen

Aber dafür zu sorgen, dass der tägliche Konsum funktioniert, die Menschen mit der Butter zu versorgen, war für den Staat eine ruhmlose Krümelkackerei. Selbst wenn es dem Staat gelungen wäre, Butter für alle zu produzieren, hätte die Bevölkerung die Butter doch sofort aufgegessen und nach der neuen Portion gefragt.


 

Noch schlimmer stand es um die Hosenproduktion. Denn alle Menschen in unserem Land hatten unterschiedliche Größen. Die einen hatten kurze Beine und dicke Hinterteile, die anderen umgekehrt. Es reichte nicht, eine schöne überdimensionale Hose für das ganze Volk zu nähen. Fürs damalige Kleidungsministerium eine unmögliche logistische Aufgabe, die Verwaltung wäre damit überfordert gewesen.


 

Sehr richtig entschieden wir uns also für den Weltraum. Irgendwann aber stellten unsere Kosmonauten fest, dass da oben nichts außer Steinen und Sand zu holen ist. Die ganze Mühe war umsonst gewesen. Durch diese bittere Enttäuschung sei der Sowjetunion die Luft ausgegangen, hieß es.


 

Nachträglich gaben viele auch der sozialistischen Planwirtschaft die Schuld am Untergang. Ich persönlich glaube nicht an diese wirtschaftlichen Theorien, auch ohne Hosen und Butter hätte meine Heimat, das sozialistische Wunderland, wunderbar die nächsten 70 Jahre schaffen können, wenn sie nicht von einem Musikstück entzaubert worden wäre.


 

Ein Akustiksturm in der Taiga

Im August 1989, gut 20 Jahre nach Woodstock, fand im Rahmen der vorübergehenden Demokratisierung das "Moskau Music Peace Festival" in unserem Moskauer Olympiastadion statt – mit 300.000 Zuschauern. In Russland hieß dieses Festival "Rock gegen Drogen", im Volksmund wurde es "Bienen gegen Honig" genannt, was nicht wundert angesichts der eingeladenen Bands: Ozzy Osbourne, Mötley Crüe, Cinderella. Und natürlich waren die Scorpions auch dabei.


 

Die Scorpions sangen der Legende nach bereits zu diesem Ereignis ihren Spitzentitel "Wind of Change“, es wurde entsprechend im russischen Fernsehen übertragen. Die sowjetischen Menschen waren verblüfft, plötzlich schien das Leben viel mehr zu bieten – und alle sangen dieses "Wind of Change", es war ein Ohrwurm sondergleichen. Der Song breitete sich wie Feuer in der Taiga aus, mit seiner Melodie im Kopf konnte niemand mehr einfach weiterleben wie davor. Kurz darauf brach die Sowjetunion zusammen.


 

Später gestand ein Mitarbeiter der CIA, den Songtext von "Wind of Change" dem Sänger der Band "Scorpions", Klaus Meine, kurz vor dem Abflug nach Moskau in die Tasche gesteckt zu haben. Seine Abteilung (Fighting Poetry) und nicht die Musiker hätten den Song erschaffen, um der Sowjetunion maximal zu schaden, behauptete der Spion. Der Sänger Klaus Meine amüsierte sich prächtig über diese Vorwürfe, der Song sei erst nach dem "Moskau Music Peace Festival" entstanden. Sagt Meine.


 

Aber egal: Je mehr Zeit vergeht, umso klarer wird die herausragende Rolle, die der Auftritt der Scorpions beim Niedergang der Sowjetunion gespielt hat.


 

Heute bietet eine ganz andere Musik als der Rock Wladimir Putin die Stirn: der Rap. Sie haben es mit ihrer Systemkritik vergleichsweise leicht. Den Rappern ist es nämlich egal, ob ihre Konzerte verboten werden. Wenn sie nicht auf die Bühne dürfen, gehen sie halt auf die Straße. Vor gar nicht allzu langer Zeit waren bedeutende Namen der russischen Rapszene gemeinsam auf einer Demonstration zu sehen. Rapper, die sich sonst heftigst anfeinden – vereint gegen Russlands Präsidenten. Eine Rap-Version von "Wind of Change" gibt es allerdings noch nicht.


 

Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.


 

Kommentar:


 

Dem satirischen Unterton der Kaminer-Betrachtung ist natürlich ngeschuldet, dass der geschichtliche Ablauf doch ein bisschen in den Hintergrund geriet. Allein der Gedanke, nicht produzierte Hosen hätten den Untergang der UdSSR eingeleitet, lässt jeden schmunzeln.


 

Sicher ist, dass ganz viele Hosen in den unterscchiedlichsten Größen, Farben und Stilen dazu benötigt wurden, den Sozialismus scheitern zu lassen.


 

Ich höre schon, wie die Verfechter des Sozialismus empört über diese Vergleiche empört sind. Den kann ich nur zurufen: Leute strengt eure Fantasie an und gebt ihr eine Chance. Ihr werdet ungeahnte Einsichten erhalten.


 

Um eine Einsicht handelt es sich, dass ein Reitschuster seine Wanderung durch das sowjetisch-russiache Leben scheint beendet zu haben. Er fing in jüngeren Jahren irgendwo in der Mitte der russischen gesellschft an und ist heute Bestandteil der russischen Gesellschaft mit Putinschen Ausschlägen. Letztere sind so heftig, dass bereits komische Gedanken der Vereinnahmung geäußert werden. Reitschuster wird zum Herrscher des gelogenen Wortes. Einer muss diese Position erkämpfen und dann einnehmen. So ist ihm seitens seiner neuen Claqueure der Zuspruch sicher, zumal diese ihn anfangs für einen ganz bösen “Russenhasser” hielten. Nun spielt er diese Rolle nicht mehr; er katapultierte zum Sprecher der Kreuz- und Querdenker.


 

So findet eben jeden seinen Platz im Leben.


 

Was in den nächsten Monaten zu erwarten ist, ist eine unterschwellig angekündigte Offensive über RTDeutsch gegen eine grüne Kanzlerschaft. Dafür, besser: dagegen, wird kein Auge trocken, kein “Argument” zu schade sein, keine Lüge zu abstrus um maximalen Schaden, (in der russischen Sprache) kein maximaler Gewinn zu schade sein.


 

Der russische Bürger lernte nie eine demokratische Staatsform kennen. Vielleicht will er das auch gar nicht. Diesen Eindruck könnte man, oberflächlich gesehen, gewinnen. So sieht ein Diktator Putin sein Wirken darin begründet, SEINE Diktatur nicht nur im Inland auszuüben, sondern gleichzeitig das russische Wesen, besser: Putins Wesen, nach außen, auf andere demokratische Staaten wirken zu lassen.


 

Das russische Selbstbewusstsein war schon immer durch minderwertige Gefühle geprägt, die durch den “starken Mann” kompensiert werden sollen.


 

Summasumarum.


 

Die Welt nach Trump ist wieder in eine normale Form zurückgeschnellt. Wer das nicht nachvollziehen bzw. Verstehen kann und will, wird letztendlich Verlierer sein. Die Frage ist eigentlich, was es uns, den demokratisch eingestellten Menschen und Staaten kosten wird.


 

Wanda Müller