"Esoterik und Verschwörungsmythen sind ein Zwillingspaar"

 

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Sie demonstrierten mit Querdenkern, Reichsbürgerinnen und Rechtsextremen gegen die Corona-Maßnahmen – sprechen aber immer wieder von Liebe und Frieden. Wie rechts sind esoterische Gruppen, wie gefährlich sind sie und was haben AfD und Die Basis mit ihnen zu tun? Sekten-Forscher Matthias Pöhlmann beantwortet bei watson die wichtigsten Fragen

 

 

 

Watson: Herr Pöhlmann, die Bundestagswahl liegt jetzt ein paar Wochen zurück. Was hat Sie an dieser Wahl überrascht?

 

Matthias Pöhlmann: Was für mich überraschend war – und was ich auch nicht ganz verstanden habe – ist, dass in der Berichterstattung wenig auf diese acht Prozent der sonstigen Parteien eingegangen wurde.

 

Inwiefern hat Sie das überrascht?

 

Das war doch eine erstaunlich hohe Zahl im Vergleich zu früheren Bundestagswahlen. Und da habe ich mir gedacht, was verbirgt sich hinter diesen acht Prozent? Und: Wie hat die Partei Die Basis abgeschnitten?

 

Die Basis hatte sich 30 Prozent erhofft.

 

Das war utopisch. Sie lagen bei 1,4 Prozent. In manchen Teilen Bayerns, vor allem im Allgäu, wo die Esoterik sehr stark ist, wo auch teilweise Reichsbürger-ideologisches Gedankengut kursiert, da wurde allerdings mehr als das Doppelte erlangt.

 

Ist das Allgäu bekannt für eine Esoterik-Szene?

 

Wir haben in Unterthingau den Mutterhof – ein Familienlandsitz der "Anastasia"-Bewegung. Im Allgäu gab es schon seit jeher solche esoterischen Bewegungen – eben auch mit der Nähe auch zu Reichsbürger-ideologischem Gedankengut. Auch die "Germanische Neue Medizin" zum Beispiel.

 

"Anastasia" und die "Germanische neue Medizin" – das sind beides Weltbilder, die mitunter rechtes, antisemitisches Gedankengut teilen und verbreiten. Und die finden ihre politische Heimat in der Partei Die Basis?

 

Ja, vermutlich. Da gibt es Verbindungslinien einzelner Kandidaten dieser Partei bis hinein in das rechtsesoterische Spektrum. Die Basis-Bundestagskandidaten Sucharit Bhakdi oder Wolfang Wodarg zum Beispiel. Beide waren mit Videobotschaften bei der „2. Konferenz für den Frieden“ im Juli 2021vertreten, die der rechte Esoteriker Erich Hambach in München initiiert und moderiert hat. Vor Ort waren auch Ken Jebsen und als „Überraschungsgast“ Michael Ballweg aufgetreten.

 

Rechte Esoterik – das klingt für jeden Normalbürger doch eigentlich wie ein Widerspruch. Wenn ich an Esoterikerinnen und Esoteriker denke, dann fallen mir Kräuterhexen oder Reiki-Therapeuten ein.

 

(Lacht)

 

Sie lachen. Liege ich mit meiner Einschätzung komplett falsch oder ist das ein neues Phänomen?

 

So neu ist dieses Phänomen letztendlich nicht. Man kann sagen, dass Mitte der 1990er Jahre erstmals Bücher auf den Markt kamen, die esoterisches Gedankengut entfaltet haben, aber gleichzeitig die jüngste deutsche Geschichte mit esoterischen Rastern geschichtsesoterisch gedeutet haben.

 

Wie meinen Sie das?

 

Zum Beispiel Jan van Helsing. Das ist ein Pseudonym von Jan Udo Holey. Er hatte das zweibändige Werk "Geheimgesellschaften" geschrieben. Darin spricht er auch von einer Verschwörungstheorie, in der im Grunde die Juden die heimlichen Drahtzieher seien.

 

Ist Esoterik immer rechts oder völkisch?

 

Nein, darum ging es mir auch in meinem Buch: aufzuzeigen, dass Esoterik nicht per se rechts ist. Aber dass wir es mit einer Szene zu tun haben, die sehr rechtsoffen ist. Dass hier eine große Anschlussfähigkeit besteht, vor allem im Blick auf antirationales Gedankengut, auf rechtsextreme Vorstellungen, also das Prinzip der Ungleichheit. Und dass es einen Totalitätsanspruch gibt. Aber wichtig ist: Nicht jeder, der sich jetzt mit Esoterik beschäftigt, ist gleich rechtsextrem. Das wäre zu einfach.

 

Aber jeder, der sich mit Esoterik beschäftigt ist, glaubt an Verschwörungsmythen?

 

Esoterik und Verschwörungsmythen sind ein Zwillingspaar. In der englischsprachigen Forschung hat man dieses schöne Wort "Conspirituality" kreiert. Also man könnte sagen Verschwörungsspiritualität oder Verschwörungsesoterik. Und das hängt natürlich mit dem Verständnis von Esoterik zusammen.

 

Welches Verständnis ist das?

 

Dabei geht es um ein höheres Wissen oder ein Überwissen, das nur erleuchteten, sensiblen, sensitiven Menschen zugänglich ist. Damit werden diese Menschen, geht man nach ihrem Verständnis, in gewisser Weise zu Überwissern. Und dieser antirationale Habitus verbindet sie mit Verschwörungsgläubigen. Die sagen ja auch, sie hätten ein höheres Wissen, sie seien die Aufgewachten und die anderen die Schlafschafe.

 

Der Glaube an Verschwörungen verbindet diese vielen Gruppierungen also miteinander.

 

Das ist der Kitt, der ganz unterschiedliche Milieus zusammenhält. Besonders deutlich wird das, wenn man sich die Beziehungen zwischen Esoterik und Reichsbürger-Szene anschaut. Tobias Ginsburg, ein Undercover-Journalist, beschreibt in seinem Buch "Reise ins Reich", dass sich Leute aus der Reichsbürger-Szene vorher auch schon mit Esoterik beschäftigt haben – und umgekehrt.

 

Wie gefährlich ist denn die rechte Esoterik?

 

Sie hat vielfältige Anschlussmöglichkeiten. Sie kann sehr stark an antidemokratische Strömungen ansetzen. Esoterik ist ja ein Alltagsphänomen: Jeder kennt jemanden, der sich mit Esoterik beschäftigt. Gleichzeitig hat die moderne Esoterik ein Sensorium für gesamtgesellschaftliche Bedürfnisse entwickelt. Früher war es das Thema Heilung, dann kam das Thema Ernährung, dann ADHS, wo dann plötzlich die Begriffe Indigo- und Kristallkinder in Umlauf kamen.

 

Sie meinen damit Kinder, die an ADHS erkrankt sind. Ihnen spricht man besondere spirituelle Fähigkeiten zu, statt die Krankheit zu behandeln. Was ist der heutige gesellschaftliche Sog?

 

Heute habe ich den Eindruck, dass sich das durch die Pandemie und über Verschwörungsideologien ganz stark zugespitzt und aktualisiert hat. Corona-Verschwörungserzählungen verschmelzen mit esoterischem Gedankengut.

 

Wie?

 

Ein gutes Beispiel ist Christina von Dreien. Sie ist Schweizerin, Jahrgang 2001, und behauptet, sie sei mit paranormalen Fähigkeiten ausgestattet, hätte eine besondere Erkenntnisfähigkeit. Von Dreien äußert sich zum Coronavirus. Sie sagt, das sei ein Mittel von den heimlichen Drahtziehern des Weltgeschehens, um die Menschen in Angst zu halten, niedrig zu halten, damit sie ihre geheimen Pläne verwirklichen können.

 

Wenn wir schon von einzelnen Personen sprechen, die von sich behaupten, paranormale Fähigkeiten zu haben. Glauben diese Menschen das wirklich oder steckt da eine Strategie dahinter?

 

Manchmal lässt sich das nicht genau trennen. Man kann nie in das Herz und den Kopf von diesen Anbietern schauen. Teilweise ist es so, dass diese Menschen schon eine esoterische Karriere hinter sich haben, esoterisch gesucht haben, bis sie bestimmte Bücher gelesen haben und dann selbst den Eindruck hatten, dass sie Botschaften erhalten. Das Problem ist, dass damit auch ein höherer Anspruch erhoben wird, der nicht kritisiert, nicht hinterfragt, sondern geglaubt werden will. Hinzu kommt der Totalitätsanspruch heutiger Esoterik: Sie lässt ja keine Frage offen. Sie kann alles erklären. So scheint es zumindest.

 

Und wie erklärt sie alles?

 

Es wird argumentiert mit Karma und Reinkarnation, also dem Glauben, nach dem Tod wiedergeboren zu werden – allerdings mit einem grundlegenden Unterschied zum östlichen Reinkarnationsglauben: Man betrachtet das in der Esoterik als Entwicklungsmöglichkeit. Das heißt, dass man eben jetzt hier dazu lernt aus diesem Ganzen. Das ist also eingebettet in ein richtiges System.

 

Da muss ich aber doch noch mal nachhaken. Gerade in der verschwörungsideologischen Szene stellt man sich mit Blick auf die vermeintlichen heimlichen Drahtzieher immer wieder die Frage: Cui bono? Also wer profitiert davon? Jetzt möchte ich diese Frage aber einmal mit Blick auf die Esoterik-Szene stellen.

 

Das läuft sehr stark über Verlage, über Bücher, die verkauft werden. Der bereits vorhin erwähnte Jan Udo Holey ist nach meinem Eindruck ein verlegerischer Profiteur der Corona-Krise. Der hat innerhalb kurzer Zeit mehrere Bücher veröffentlicht. Interessant sind die Beziehungen, die man da herauslesen kann.

 

Welche?

 

Ein Leser dieser Bücher ist Attila Hildmann. Daran sieht man: Es gibt eine Art Ideen-Reservoir, aus dem Verschwörungsideologen ihre Inhalte schöpfen. Dieses "aktualisierte Wissen" speisen sie in den aktuellen Diskurs ein. Viele – und auch ich – fragten sich ja: Wie kommt es, dass auf diesen Corona-Demos Impfgegner, Verschwörungsideologen, Reichsbürger, Esoteriker und ganz einfache Menschen da Seit an Seit miteinander demonstrieren?

 

... und dabei die Regenbogenfahne schwingen.

 

Ja richtig. Dann kamen noch QAnon-Anhänger hinzu und es gab den Sturm auf den Reichstag. Also das ist, wie das damals die Universität Konstanz festgestellt hat, eine bunte Misstrauensgemeinschaft. Das heißt, das "Dagegen" verbindet diese unterschiedlichen Milieus ganz stark.

 

Diese unterschiedlichen Milieus haben also ein Feindbild. Wer ist das? "Der Jude"?

 

Genau das ist der Punkt. Diese Verschwörungsmythen können sich auf der einen Seite natürlich gegen Einzelpersonen richten. Bill Gates ganz stark, dann George Soros, ein ungarischer Holocaust-Überlebender und heutiger Investor. Dann gibt es gruppenbezogene Verschwörungsmythen, wenn von "Bilderbergern" oder "Globalisten" die Rede ist. Dabei trifft man, in codierter Form, mitunter auf antisemitische Aussagen. Das reicht bis hin zu Richard Rothschild, der sich angeblich schon Patente habe sichern wollen. Es wird suggeriert, die Juden seien mächtig, einflussreich, hätten Geld – und wollten damit die Welt unterdrücken. Typisch antisemitische Stereotype.

 

Sind das auch Ansichten der „Anastasia“-Bewegung?

 

Auch, und damit sind wir wieder bei der Esoterik. Die „Anastasia“-Bewegung ist letztendlich anschlussfähig – und zwar an vier Bewegungen gleichermaßen. Einmal an die Esoterik, zum anderen an die große Bedürfnislage, der Suche nach sozial utopischen Lebensformen. Drittens: ökologisches Gedankengut, also gegen den Klimawandel, was in der Gründung von Familienlandsitzen mündet.

 

Und das Vierte?

 

Das wäre die sogenannte Schetinin-Pädagogik, die auch in diesen „Anastasia“-Büchern verbreitet wird, das sogenannte freie Lernen, wo Lernbegleiter auch ausgebildet werden.

 

Was bedeutet das?

 

Die „Anastasia“-Bewegung ist eine Bewegung, die in Deutschland seit 2014 stärker in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt ist. Sie geht zurück auf eine russische Erzählung, erschienen in zehn Bänden. Und die gleicht eher einem Märchen. Es handelt von einer sagenhaften Frau, Anastasia. Sie soll in der Taiga leben, barfuß durch die Wälder laufen, könne mit Tieren kommunizieren, hätte einen Heilstrahl. Anastasia berichtet in der Erzählung von einer angeblich intakten wedrussischen, also nationalistischen russischen Kultur.

 

Welchen Einfluss hat diese Erzählung auf die Bewegung?

 

Zum einen wird ein sehr rückständiges Frauenbild vermittelt. Und das Zauberwort lautet Familienlandsitz. Man solle sich auf einem Familienlandsitz niederlassen, weil diese Welt durch heimliche Drahtzieher des Weltgeschehens bedroht werde. Da wird behauptet, diese Drahtzieher sei eine Clique von levitischen Priestern.

 

Leviten sind Juden.

 

Das waren jüdische Tempel-Priester. Und sie würden also alles daransetzen, Anastasia aus dem Weg zu räumen.

 

Was ist an diesem Märchen so fatal?

 

Es wird in diesen Büchern antidemokratisches, antisemitisches und auch rassistisches Gedankengut entfaltet. Vor allem mit Blick auf die sogenannte Telegonie, also die Vererbung des sogenannten ersten Männchens.

 

Was ist das jetzt schon wieder?

 

Das bedeutet, der erste Sexualpartner einer Frau soll dem späteren Kind den Geist und das Blut aufdrücken. Also das ist eine ganz seltsame Vererbungslehre, die letztlich rassistisch ist.

 

Wer glaubt denn an sowas?

 

Diese Bücher werden nach meinen Recherchen vor allem von urbanen Menschen gekauft. Menschen, die sich sozusagen wieder nach Natur, nach Selbstversorgung, ökologischer, authentischer Lebensweise sehnen. Und etliche sind dazu übergegangen, die in diesen Büchern entfalteten Ideen in die Praxis umzusetzen. Das heißt, man hat dann begonnen, Familienlandsitze ins Leben zu rufen. Da gibt es beispielsweise größere Landsitze in Wienrode in Sachsen-Anhalt. Auch in Mecklenburg-Vorpommern, in Liepe bei Eberswalde in Brandenburg. Da residiert Frank Willy Ludwig, der angeblich den ältesten Familienbesitz hätte. Und in Bayern haben wir auch die Mutterhof von Robert Briechle, der auf seinem Hof klar antisemitische Rassenlehre weiterträgt.

 

Das klingt alles stark nach Reichsbürgertum.

 

Da gibt es natürlich Überschneidungen. Das sind aber trotzdem zwei eigene Bewegungen. Aber die Protagonisten dieser Initiativen haben natürlich Verbindungen in diese rechtsextreme Szene.

 

Haben solche rechtsesoterische Bewegungen auch politische Auswirkungen?

 

Natürlich. Das ist mir bei der ersten Konferenz der sogenannten freien Medien aufgefallen, die die AfD-Bundestagsfraktion im Berliner Paul-Löbe-Haus durchgeführt hat. Dort gab es ein Roll-up, auf dem Logos von solchen von rechtsesoterischen und auch rechtsextremen Organisationen oder Institutionen zu sehen waren. Etwa auch des Compact-Magazins von Jürgen Elsässer – ein rechtsextremistischer Verdachtsfall, so der Verfassungsschutz.

 

Sektenführer, Verschwörungsideologen, vom Verfassungsschutz beobachtete Verleger, die die AfD sponsern?

 

Es gibt hier schon ein effektives Netzwerk. Und während der Corona-Pandemie sind manche dieser rechten Esoteriker noch offensiver aufgetreten. Bei den großen Demonstrationen in Berlin hat man etwa auch Vertreter der "Germanischen Heilkunde" gesehen. Eine antisemitische, alternative Heilbewegung von Ryke Geer Hamer. Der sagt, die Juden seien daran schuld, dass sich die "Germanische Neue Medizin" nicht durchsetzen würde, weil die herkömmliche Medizin in der Hand von Juden sei.

 

Sie sind bekannt als Forscher in dieser Szene, besuchen Demos, gehen zu Veranstaltungen. Sind Sie da nicht auch einer Gefahr ausgesetzt?

 

Körperlich zum Glück nicht. Es wird natürlich versucht, mich als ahnungsloses Schlafschaf darzustellen und mich in den sozialen Netzwerken persönlich zu diskreditieren.

 

 

Kommentar:

 

Aus diesen verqueren Ansichten ist die Querdenkerbewegung herausgekrochen. Es musste ja eine Richtung gefunden werden, die die sogenannte Intelligenz unter den esoterik- und verschwörungsempfänglichen Deutschen anspricht. Soros und Gates sind die Feindbilder, die sich durch alle, aber nun wirklich alle Spielarten der Verschwörungstheorien ziehen.

 

Sie alle haben nur zwei Ziele. Mit ihren kruden Ideen Menschen um sich zu sammeln, denen sie zum Zwecke der eigenen Bereicherung das Geld, nach Möglichkeit, viel Geld, aus der Tasche ziehen zu können.

 

Dazu werden Spendenkonten eingerichtet, sogar ein ganzes Merchandisinggeschäft aufgebaut. Und welch Wunder, die Kinderlein, die Kinderlein, sie kommen und zwar soviele, damit eine Handvoll sich als Spinner darstellende ein luxuriöses Leben führen können.

 

Wanda Müller