Ja, wir schaffen das...



Nein, heute kann meine Seele nicht fliegen! Es ist so, als habe jemand einen ganzen Eimer Teer über ihre zarten Flügel gekippt.

So sehr sie sich auch müht, je mehr sie sich wehrt, desto mehr verklebt der Teer ihre zerbrechlichen Flügel. Ich versuche ihr zu helfen, aber wie, weiß ich nicht.

Der Teer ist so zäh, sein Geruch brennt in den Augen und schmerzt beim Luftholen.

Meine Seele wimmert wie ein kleines Kind, ich tröste sie, ich sage ihr, das bekommen wir wieder hin, mach dir keine Sorgen...

Doch ich weiß wirklich nicht, ob ich das kann.

Vorsichtig, ja liebevoll, versuche ich den Teer zu entfernen. Doch ich merke alsbald, dass es nicht geht, ohne ihr weh zu tun!

Ich versuche es ihr zu erklären, doch sie fängt sofort an bitterlich zu weinen. "Nicht weh tun, bitte, bitte, nicht weh tun" flüstert sie mir immer
wieder zu. " Aber du möchtest doch wieder fliegen können und frei
sein" erwidere ich. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, ihr Blick schweift in die Ferne. "Ja fliegen" flüstert sie.

Ich merke, wie mir die Tränen in die Augen schießen. "Arme kleine Seele, bist ja so tapfer und so stark, wir schaffen das!"

Sie schaut zu mir auf und fragt mit zitternder Unterlippe "Warum weinst du?"

Ich streiche ihr vorsichtig über den Kopf und sage: "Weil die Menschen so gemein und rücksichtslos sind und du darunter leiden musst!"

"Ach ja, die Menschen" flüstert die kleine Seele und versucht sich
aufzurichten, "die machen so viel Schlimmes ohne darüber  nachzudenken..."

Ich atme tief durch: "Ja, ich weiß, vermutlich haben sie nicht einmal bemerkt, dass du da warst!"

Erschöpft lässt sich meine Seele zurückfallen und atmet schwer: "Tut weh, ganz, ganz weh", sagt sie kaum hörbar.

Nun beginne ich hemmungslos zu weisen, drücke sie sanft an mich: "Ja mein Kleines, ich werde dir auch weh tun, doch dann kannst du aber bestimmt bald wieder fliegen."

 

Dann komme ich mit scharf riechenden Reinigungsmitteln zurück, schaue auf die Kleine, die zusammengekrümmt am Boden liegt. Sie sieht ja so erbärmlich aus. Ich selbst bin so endlos traurig und wütend auf die Menschen, die ihr das angetan haben.

Dann hebt meine Seele ihr hübsches Köpfchen und schaut mich mit vor Entsetzen weit geöffneten Augen an und sagt zu mir: "Nein, bitte nicht weh tun", als ich ihren Flügel in das stinkende Lösungsmittel tauchen will.

Erschrocken zucke ich zurück. "Geht es nicht irgendwie anders" fragt
sie zitternd. Dann stoppe ich in meiner Bewegung und schaue sie mitleidig an und sage zu ihr: "Wir können ja warten, bis sich die Flügel erneuert haben"! Dabei entfährt ihr ein klagendes Seufzen. "Schon wieder so lange warten, hab so lange darauf gewartet fliegen zu können"! "Ja, liebe Seele, ich weiß und noch oft werden die Menschen dich am Fliegen hindern, durch ihre Unbedachtheit".

Sie heult wütend auf und fängt an mit ihren kleinen Fäustchen auf den Boden zu trommeln, so lange bis sie müde zusammensackt. Verdreht bleibt sie liegen und fragt mich: "Wird es jemals aufhören?"

Jetzt hebe ich sie vorsichtig auf meinen Schoß, schaue in ihr  niedliches verheultes Gesicht, wirr stehen ihre Haare in alle Richtungen. Sie schaut mich trotzig an und meint dann entschlossen: "Du hast doch gesagt, meine Flügel werden jedes Mal stärker, wenn sie neu wachsen!"

Ich wiege sie nunmehr hin und her, sie lächelt mich an und fängt leis an zu summen. "Ja genau, so ist es und irgendwann hast du Flügel, die dich immer tragen können, egal was die Menschen anstellen und wie rücksichtslos sie sind!"