Das Narrenschiff – Mit Querdenken ins Land der falschen Metaphern und unglücklichen Vergleiche
Kolumne von Stephan Zwerenz
Man kann es sich nicht ausdenken und wenn doch, würde es einem niemand glauben. Die zweite Corona-Welle übertrifft die Zahl der Neuinfektionen aus der erste Welle. Sachsen ist mit weitem Abstand Corona-Hotspot Nummer eins in Deutschland. Die Todeszahlen springen in die Höhe. Und trotz Warnungen von Experten werden Schutzverordnungen nur träge oder halbherzig durchgesetzt.
Doch statt schärfere Maßnahmen zu fordern, geht eine sonderbare Gruppe von Menschen auf die Straße, weil ihnen die verhaltenen Beschlüsse der Regierung immer noch zu drastisch erscheinen. Von Zuständen wie in einer Diktatur ist die Rede.
Gleichzeitig aber schreibt dann etwa der Pressesprecher einer Baufirma aus der Corona-Hochburg Bautzen: „Wer in meinem Office Maske trägt, fliegt raus.“ Paradox erscheint das nur für Außenstehende.
Selbsternannte „Querdenker“ vermuten hinter allem eine Verschwörung, verneinen wissenschaftliche Erkenntnisse und behaupten, die Einschränkungen von Grundrechten seien dauerhaft. Man bereite uns auf eine weltweite Terrorherrschaft vor, in der Impfungen uns nicht vor Krankheiten schützen sollen, sondern die eigentliche Bedrohung sind.
Um den eigenen Wahn anderen glaubhafter zu machen, werden auch mal Falschnachrichten in die Welt gesetzt, zum Beispiel von Kindern, die wegen der Benutzung von MNS-Masken gestorben sind. Dabei feiern sich die Mitglieder der Bewegung unentwegt als die Retter der Nation, als erwachte Revolutionäre und verhöhnen alle anderen als systemkonforme Schlafschafe. Wie konnte es nur so weit kommen?
Das Narrenschiff
Es ist ein Schreckensszenario, in der einige Figuren aus Sebastian Brants Narrenschiff stammen könnten. Allerdings ist die derzeitige Lage nicht ansatzweise so lustig wie in der spätmittelalterlichen Moralsatire geschildert. Die heutigen Narren steuern nämlich nicht nur sich selbst, sondern auch alle anderen mit sich in den Abgrund. Sie organisieren sogar Bustouren, auf denen sie sich feixend Verschwörungsmythen erzählen und gefestigte wissenschaftliche Erkenntnisse im Bierrausch ertränken.
„Querdenken“ ist zugleich auch eine hoch professionelle Bewegung, die in der gesamten Bundesrepublik Feldzüge gegen den gesunden Menschenverstand organisiert und damit reale Menschenleben gefährdet. Getrieben von Dummheit und Ignoranz biblischen Ausmaßes findet die Organisation Anhänger aus allen Gesellschaftsschichten.
Die Front der Hardcore-Esoteriker und Verschwörungsideologen werden unterstützt durch fehlgeleitete Ärztinnen und Professoren, Unternehmerinnen, Impfgegnerinnen, Reichsbürger und Linksextreme. Der Begründer der Bewegung, Michael Ballweg, arbeitet seit Jahren im IT-Management und Online-Marketing.
Mittlerweile scheint die Bewegung aber vor allem von Rechtsradikalen mehr und mehr dominiert zu werden, die entweder den eigenen Fake-News Glauben schenken oder die Situation einfach für sich ausnutzen wollen. Tag-X-Fantasien bereiten ihnen feuchte Träume. In den vordersten Reihen finden sich auf den meisten Demos entsprechend auch immer wieder Hooligans, Nationalisten, Neonazis, rechte Influencer und Vertreter*innen der AfD.
„Wir sind die zweite Welle“
Auf den Bühnen bekommt anscheinend jeder Applaus, der ein paar Signalworte fallen lässt. Und seien seine oder ihre Theorien noch so absurd und menschenverachtend, sie werden beklatscht. Skurrile Gestalten, die ganz offensichtlich noch nicht einmal gelernt haben, geradeaus zu denken, denken plötzlich quer.
Von der offensichtlichen Absurdität einmal abgesehen, muss dieses Unternehmen einfach scheitern. Denn wie will man das System verändern, wenn man gar nicht weiß, wie es funktioniert? Doch die Bewegung hat Erfolg, zumindest was die steigende Zahl ihrer Mitläufer*innen betrifft.
Doch wie im Narrenschiff von Sebastian Brant steuert Querdenken auf den Untergang zu. Die fröhliche Anhängerschaft macht Witze über die Gefahr, in die sie ihre Mitmenschen bringt. Sie bezeichnen sich sogar selbst als die zweite Welle und sind stolz darauf. Schließlich fühlt man sich als „Querdenker“ als Teil einer Widerstandsbewegung gegen ein totalitäres System.
Dunkle Omen
Es war nicht das erste dunkle Omen, das uns vor Querdenken warnen sollte. Die ersten prominenten Vorreiter der Bewegung sollten sich bald als die vier Apokalyptischen Reiter der Popkultur erweisen: Xavier, Attila, Nena und „der Wendler“. In den sozialen Netzwerken erreichen sie absurd hohe Reichweiten, von denen manche Tageszeitungen nur träumen können. Und die sogenannten Mainstream-Medien, die sie verteufeln, verbreiten ihre Botschaft auch noch bereitwillig weiter.
Die Zurschaustellung des eigenen Wahnsinns und fehlender Bildung ist in heutigen Tagen kein Grund mehr sich zu schämen. Wenn man dem ehemaligen Bodyguard von Attila Hildmann Glauben schenken mag, kann man mit dem rechten Vegan-Koch nur Mitleid haben.
Hildmann braucht ganz offensichtlich psychologische Betreuung und ist damit nicht allein auf den Demos. Stattdessen wird er für seine völlig absurden Schwurbeleien und Morddrohungen auch noch gefeiert oder wegen seines temporären Auftrittsverbot zum Märtyrer gemacht.
Es stellt sich die Frage: Wann ist man eigentlich eine Gefahr für sich selbst und andere Menschen?
Falsche Metaphern und unglückliche Vergleiche
Es scheint ganz offensichtlich einen Zusammenhang zwischen verqueren Vergleichen und queren Denkern zu geben. Jana aus Kassel hat mit ihrem misslungenen Sophie-Scholl-Vergleich bei Querdenken in Hannover eine Steilvorlage für einen Shitstorm geliefert und dabei gleichzeitig eine neue Kategorie von Flachwitzen erfunden.
Dabei gehören doch unangebrachte Holocaust- und NS-Vergleiche auf Querdenker-Demos eigentlich zur Normalität. Man denke nur an den Vergleich des Infektionsschutzgesetzes mit dem Ermächtigungsgesetz der Nationalsozialisten. Dem haben sich auch mal AfD-Politiker*innen des Bundestages angeschlossen.
Das Problem dabei hat Florian Neuhann vom ZDF auf den Punkt gebracht: „Wer so etwas behauptet, verabschiedet sich aus einem ernsthaften Diskurs.“ Gerade weil ihnen die Ernsthaftigkeit abgesprochen wird, fühlen sich dann aber die Querdenker erst recht wieder bestätigt. Sie fühlen sich als die „neuen Juden“, als Verfolgte eines gleichgeschalteten Regimes und verhöhnen dabei die echten Opfer politischen Terrors – zum Teil auch mit Kalkül.
Neben der Fehlinterpretation von Fakten werden auch Metaphern, die einmal in die Welt gesetzt werden, für bare Münze genommen. Die Metapher oder der überzogene Vergleich wird plötzlich zum Kampfbegriff und zur angenommenen Realität verklärt.
Vom Merkel-Regime zur Corona-Diktatur
Das „Merkel-Regime“ oder die „Merkel-Diktatur“ ist aus satirischer Sicht vielleicht noch ein zulässiger Ausdruck – eine Übertreibung, von der man halten kann, was man will. Es wird aber in dem Moment gefährlich, wenn der Ausdruck zum geflügelte Wort und schließlich zum Kampfbegriff hochstilisiert wird. Vor allem, wenn manche Menschen plötzlich daran glauben, dass wir tatsächlich in einer Diktatur leben.
Es ist ja auch bezeichnend wie die sogenannte „Merkel-Diktatur“ nahtlos zu einer „Corona-Diktatur“ geworden ist. Da stellt sich gar nicht mehr die Frage, aus welcher politischen Richtung dieses Denken teilweise kommt und von wem die kritische Lage unverhohlen instrumentalisiert wird. Die personellen Überschneidungen kann man nicht abstreiten.
Angst wider die Vernunft?
Angst, Unsicherheit und Kontrollverlust sind für uns alle schwer zu ertragen. Diese aber als alleinige Ursachen für den Erfolg der Querdenken-Bewegung zu bezeichnen, ist nur die halbe Wahrheit.
Dennoch ist es bemerkenswert wie schnell die Absurdität einen großen Teil der Bevölkerung erfasst hat. Und wie sich Menschen zu irrationalen Aussagen und Handlungen hinreißen lassen. Das beginnt schon bei unglücklichen Formulierungen – so etwa bei Armin Laschets härtesten Weihnachten seit der Nachkriegszeit. Es setzt sich aber auch in der Suppenkasper-Mentalität der Querdenker fort: „Ich trage meine Maske nicht! Meine Maske tragʼ ich nicht!“
Natürlich müssen politische Entscheidungen kritisiert werden. Natürlich muss gegen falsche und unrechtmäßige Kürzungen auf die Straße gegangen werden. Und selbstverständlich muss man auf gesellschaftspolitische Probleme aufmerksam machen.
Doch wer dabei mit Fake-News, Verschwörungsideologien und absurden Behauptungen argumentiert, macht sich nicht nur unglaubwürdig und vergiftet das gesellschaftliche Klima, sondern fordert auch Menschenleben.
Das Ende ist nah
Finanzielle Sorgen dürfen unter keinen Umständen über das gesundheitliche Wohl gestellt werden – aus diesem Grund haben wir den Sozialstaat ja schließlich erfunden. Teile der Querdenken-Bewegung räumen anscheinend gleich beide Sorgen mit einmal aus.
Die Initiative „Das Volk gegen Corona“ etwa hat ganz offensichtlich Angst als Geschäftsmodell für sich entdeckt.
Es ist natürlich nichts Neues, dass sich Verschwörungsgläubige und Esoteriker gegenseitig das Geld aus der Tasche ziehen. Im Rahmen einer Protestbewegung, die immer wieder vorgibt, neutral zu sein, sollte das aber schon als starker Vertrauensverlust gedeutet werden.
Man kann sich nur wünschen, dass bei vielen Querdenkern das große Erwachen einsetzt, bevor noch mehr Menschen an Covid-19 erkranken. Auch ein Organisator aus Leipzig musste wahrscheinlich künstlich beatmet werden. Angeblich soll es sich dabei um den bereits verstorbenen AfD-Politiker Harald Hänisch handeln. Doch die AfD schweigt dazu, hat sogar Genesungswünsche wieder aus den sozialen Netzwerken gelöscht. Die Organisatoren aus Leipzig hingegen verleugnen alles.
Aus der Geschichte wissen wir, dass die Menschen aus der Geschichte für gewöhnlich nichts lernen und dass der Glaube oft stärker ist als der gesunde Menschenverstand. Wir können also nur auf das Ende der Corona-Pandemie warten und hoffen, dass sich Querdenken nicht weiter radikalisiert. Denn mit Argumenten überzeugen lassen sie sich schon lange nicht mehr.
Kommentar:
Das kann sich niemand ausdenken und wenn doch, glaubt es niemand.
Es haben sich gestandene erwachsene Menschen ein Horrorszenario ausgedacht und viele laufen diesem Szenario hinterher. Das Spiel mit der geschürten Angst hat Hochkonjunktur. Als „Abfallprodukt“ dieser Aktionen stellen die „Autoren“ sich als Kämpfer gegen Faschismus und andere hehre Aktionen dar und inszenieren sich als DIE Aufklärer (selbstverständlich als selbstberufene) dar.
In den Tagen vor den Festtagen haben sich diese ganzen Freiheitskämpfer konsolidiert zu
- Spendenerschleicher
- Falschaussteller von Attesten
- ganz profane Lügner
- Panikmacher
Der Staat mit seinen Organen (Polizei, Ordnungsamt, Justiz) stand lange Zeit diesen Geschenissen machtlos gegenüber. Ob absichtlich oder fahrlässig sei dahingestellt. So konnten diese Verschrobenen schalten und walten, wie es ihnen passte.
Nun, so scheint es, kommt bei einigen von denen das Erwachen. Spendengelder werden zurückgefordert; es wird geprüft, inwieweit einem Schiffmann für Attesterteilung auf Zuruf die Zulassung aberkannt wird; die Frauenbustour ist ein Reinfall. Ob die Covidioten Sylvester am Brandenburger Tor feiern? Als Anstoß für noch zu entwelnde Aktionen in 2021 nehmen?
Also, einfach zurücklehnen, mit einem Glas Chablis einige äußerst verqueren und dazu noch dumme Jahresrückblicke „genießen“. Wer weiß denn schon, wann man von diesen Bescheuerten (aus Sachsen besonders) noch etwas zum Lachen bekommt, so unterirdisch die manchmal sind. Aber denen beim Wettrennen um die Goldene Ehrennadel der Covidioten zuzuschauen, hat schon etwas. Zum Piepen, wie alte Männer und Frauen sich den Weg in ihr Ziel freischaufeln. ROFL
Wanda Müller