Donald Trumps Strategien für den Staatsstreich
Eine Kolumne von Sascha Lobo
Sollte er die Wahl im November verlieren, wird Donald Trump das Ergebnis wohl nicht anerkennen. Niemand wird ihn an einem Staatsstreich hindern können, dafür sorgen er und seine Verbündeten seit Langem vor.
Die Proteste nach dem rassistischen Mord an George Floyd in den USA sind zugleich eine Reaktion auf die rassistischen Strukturen des Landes, die Donald Trump noch vertieft und verstärkt hat. Und sie weisen auf das letzte fehlende Puzzleteil in einer monströsen Strategie hin: Donald Trump bereitet einen Staatsstreich vor (Lesen Sie dazu auch den Artikel meines Kollegen René Pfister). Die Hinweise liegen offen da, man muss nur wenige, indiziengestützte Vermutungen zusammenfügen. Der größte Teil des Staatsstreich-Szenarios besteht aus Trumps eigenen Worten und Handlungen, ergänzt durch die seiner Parteikollegen.
Ab 1865 - Die ältere Geschichte
Als 1865 die Sklaverei in den USA offiziell abgeschafft wurde, war die große Angst der weißen Südstaatler, dass die schwarze Bevölkerung per Wahlrecht zu viel Einfluss gewinnen würde. "Voter Suppression" sollte als Gegenmittel taugen, die absichtliche Erschwerung der Stimmabgabe insbesondere für schwarze und auch wirtschaftlich schwächere Amerikaner. Aus dieser Haltung leitet sich das heutige Verständnis der republikanischen Parteiführung von Demokratie ab. Es geht um Mehrheiten - aber nicht von allen. Deshalb dürfen etwa Gefängnisinsassen (zu 40 % schwarz) oft nicht wählen, deshalb sind Tricks wie das Gerrymandering entwickelt worden, bei dem Wahlbezirke so zugeschnitten werden, dass eine Partei davon Vorteile hat, deshalb braucht man in manchen Staaten zum Wählen bestimmte Ausweispapiere, über die ärmere Bevölkerungsteile seltener verfügen.
Ab 2001 - Die jüngere Geschichte
Mit dem Sieg von George W. Bush erreicht eine spätestens seit den Achtzigerjahren besprochene Idee das Weiße Haus: eine "ewige Präsidentschaft" der Republikaner. Der berüchtigte Stratege Karl Rove spricht von der "permanenten republikanischen Mehrheit". Und die soll mit fast allen Mitteln erreicht werden. Demokratie soll die Kulisse sein, vor der eine Dauerherrschaft der Republikaner installiert wird.
Oktober 2016 - Der Hintergrund
Nicht, dass man Trump nicht ohnehin alles zutrauen würde, nachdem er unter Hakenkreuzfahnen schwenkenden Nazis "very fine people" ausmachte und nachdem in den USA Kinder in Käfige gesteckt wurden. Aber ein Zitat von 2016 erscheint geradezu als Ankündigung. Drei Wochen vor der Wahl sagt Trump: "Ich werde das Ergebnis dieser großartigen und historischen Wahl absolut akzeptieren - wenn ich gewinne!"
Januar 2017 - Beginn der Wahlfälschungserzählung
Der extreme Narzisst Trump kann nicht verlieren und wenn doch, erfindet er einen Grund, warum er eigentlich doch gewonnen habe. Hillary Clinton bekam insgesamt mehr Stimmen, Trump bekam die Mehrheit der Wahlleute und wurde Präsident. Doch seine Erklärung zur Amtseinführung hat es in sich: Er behauptet, Clinton habe durch Wahlfälschung mehr Stimmen bekommen können als er. Es ist der Beginn der Wahlfälschungserzählung, Trumps Strategie, um Wahlergebnisse nach Belieben delegitimieren zu können.
Ab 2017 - Die Projektion
In der Psychologie heißt es Projektion, wenn man die eigenen Pläne auf andere projiziert. "Die Demokraten planen einen Coup!", hat Trump immer wieder behauptet, zur Untersuchung durch den ehemaligen FBI-Chef Robert Mueller und zu den Impeachment-Überlegungen der Demokraten. Trumps Vorwurf ist nach meiner Einschätzung nicht nur eine rechte Pose, um sich selbst als mächtigster Mann der Welt noch als Opfer zu inszenieren. Es ist auch der Versuch, aus der Verteidigung einen Angriff zu machen, getarnt als Notwehr.
Ab 2017 - Schaffung einer Trump-Realität
Trumps Gefolgschaft befindet sich in einer eigenen Realität, sie kümmert sich nicht um die faktische Realität, sondern entwickelt ein sektenartiges Verständnis der Welt: Trump hat immer recht, auch wenn er nicht recht hat. Denn alles, was gegen Trump spräche, ist von seinen Feinden inszeniert. Im Zweifel von einem "deep state", einer Behördenverschwörung gegen Trump, von der er selbst oft sprach. Es ist ein Trick, um staatliches Handeln nur dann legitim erscheinen zu lassen, wenn es von Trump abgesegnet ist: schierer Autoritarismus also.
April 2017 - Trumps erster Verfassungsrichter
Der Supreme Court ist im amerikanischen Wahlverfahren essenziell bei der Entscheidung zu umstrittenen Praktiken und Situationen. George W. Bush gewann 2000 auch deshalb, weil das Verfassungsgericht eine Neuauszählung stoppte. Anfang 2016 stirbt ein konservativer Verfassungsrichter, der eigentlich vom damals amtierenden Präsidenten Obama ersetzt hätte werden sollen. Die Republikaner zögern mit Verfahrenstricks die Nominierung heraus, sodass im April 2017 der erste Trump-Richter Neil Gorsuch ins höchste Gericht gewählt wird.
Juni 2018 - Der überraschende Rücktritt eines weiteren Verfassungsrichters
Der Supreme Court ist ein derart zentrales, politisches Machtgremium in den USA, weil dort die präsidentielle Macht samt der Gesetze kontrolliert werden soll. Im Juni 2018 tritt ein eigentlich auf Lebenszeit ernannter, eher liberaler Richter unter merkwürdigen Umständen zurück. Trump bekommt seinen zweiten Verfassungsrichter und damit eine klare, konservative Mehrheit im Supreme Court.
September 2019 - Das Impeachment-Debakel
Die Demokraten starten mit ihrer Mehrheit im Kongress ein Impeachment-Verfahren. Einige Monate später werden sie an der republikanischen Senatsmehrheit so krachend wie absehbar scheitern, aber jetzt hat Trumps Erzählung, die Demokraten würden einen Coup gegen ihn planen, amtliches Futter. Sehr geschickt baut Trump eine Gegenerzählung auf, die er über Twitter verbreitet. Dort schreibt er: "DEMOCRATS WANT TO STEAL THE ELECTION!"
Oktober 2019 - Die Gefolgschaft radikalisiert sich
Trumps Anhängerschaft hat sich seit 2016 radikalisiert. Schon zu Wahlkampfzeiten wurde die aggressive Stimmung, etwa gegen die freie Presse, mehrfach beschrieben. Inzwischen geht es weit darüber hinaus. Im Oktober 2019 findet in Arizona das rechte bis rechtsextreme Festival "Trumpstock" statt. Ein Besucher sagt, er habe Waffen gehortet für den Fall, dass Trumps Wiederwahl nicht erfolgreich sei: "Nichts weniger als ein Bürgerkrieg würde passieren. Ich glaube nicht an Gewalt, aber ich werde tun, was ich tun muss." Zwei Monate später sagt ein Mann auf einer Trump-Rally ohne Scheu in die Kamera eines der größten TV-Sender: "Er wird nicht abgesetzt… Meine 357er Magnum fühlt sich damit wohl. Ende der Story." Wohlgemerkt geht es hier um einen völlig normalen, demokratischen Prozess: eine verlorene Wahl.
November 2019 - Die Warnung des Insiders
In den USA erscheint das Buch "Eine Warnung", geschrieben von einem Anonymus aus Trumps direktem Umfeld im Weißen Haus. Darin steht das Zitat: "Wenn Trump aus dem Amt entfernt wird, sei es durch Impeachment oder knappe Niederlage an der Wahlurne, … wird Trump nicht still und einfach ausscheiden. Deshalb spricht er so oft davon, dass Coups im Gange seien und ein Bürgerkrieg im Anzug. Er pflanzt diese Erzählung in die Köpfe seiner Gefolgschaft, und diese Erzählung kann tragisch enden."
06. April 2020 - Der Supreme-Court-Testlauf
Der Supreme Court entscheidet darüber, ob es in Wisconsin eine Fristverlängerung für die Briefwahl geben könne. Der demokratische Gouverneur hatte wegen der Corona-Pandemie mehrere Verfahren auf den Weg gebracht, um möglichst gefahrlos wählen zu können. Aber Briefwahl gilt als Wahlerleichterung, die eher den Demokraten nutzt. Der Supreme Court lehnt ab.
30. April 2020 - Die Milizen drohen
Zwischen dem 30. April und dem 15. Mai 2020 gibt es vorgebliche "Anti-Corona-Proteste". In Michigan richten sie sich vor allem gegen die demokratische Gouverneurin Gretchen Whitmer, eine Lieblingsfeindin Trumps, die ihm schon öfter widersprach. Die an ihren Signets als rechtsradikal erkennbaren Protestierenden dringen bewaffnet in das Parlament ein und drohen den Abgeordneten. Die Pro-Trump-Milizen, die sich im ganzen Land gebildet, bewaffnet und trainiert haben, können diese Bildsprache sofort als Signal erkennen: Im Zweifel müssen wir die Parlamente mit Waffengewalt unter Druck setzen.
Mai 2020 - Trumps Vorbereitung
Die Wahlfälschungserzählung von 2017 aufgreifend, betont Trump über Twitter immer wieder, dass die Wahl im November gefälscht werden könnte. Vor allem auf die Briefwahl hat er es abgesehen, die zwar möglicherweise den Demokraten nutzt, aber zugleich auch nur ein vorgeschobenes Argument ist. Trump bereitet vor, einen ihm nicht passenden Wahlausgang als Wahlfälschung zu bezeichnen.
10. Mai 2020 - Trumps Propagandasender immunisiert
Fox News, die lügende, als Nachrichtensender getarnte Propagandaplattform für Trump, spricht immer und immer wieder von einem angeblichen Staatsstreich der Linken. Es handelt sich letztlich um die bekannte Notwehrerzählung.
14. Mai 2020 - Die Besorgnis wächst
Vermutungen über Trumps Plan eines Coups waren in kleineren, linkeren und aggressiveren Medien über Jahre immer wieder aufgebracht worden. Jetzt titelt sogar die Washington Post besorgt: "Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass Trump das Wahlergebnis nicht akzeptieren wird." Der Meinungsartikel fragt, was passieren wird, wenn Trump twittert, dass er eigentlich gewonnen habe, und endet mit der maximal hilflosen Aufforderung: "Republikaner, die sich um die Republik sorgen, müssen jetzt handeln." Das haben sie in Sachen Trump vs. Demokratie schon sehr, sehr oft versäumt, eigentlich jedes einzelne Mal. Die republikanische Partei ist unter Trump nicht an Demokratie interessiert.
30. Mai 2020 - Die Unruhen und die Befeuerung von rechts
Nach der Ermordung von George Floyd durch Polizisten gibt es Proteste im ganzen Land. Trump selbst gießt Öl ins Feuer, denn je bürgerkriegsähnlicher die Lage, desto besser für ihn, der sich als vermeintlicher Law-and-Order-Präsident inszenieren will. Aber auch rechtsextreme Pro-Trump-Gruppierungen zündeln mit, sie sehen ihre Chance gekommen, im Tumult eines Bürgerkriegs ihre rassistische Agenda zu verfolgen. Es mehren sich die Anzeichen, dass Nazigruppen während der Proteste Läden angezündet haben, um der Bewegung #BlackLivesMatter zu schaden. Twitter deckt auf, dass der Account "Antifa_US" eigentlich zu Rechtsextremen gehört, die die antifaschistische Bewegung diskreditieren wollen. Der heimlich rechte Account hatte wiederholt zu Gewalt aufgerufen und war damit in Medien zitiert worden.
01. Juni 2020 - Trump droht mit Militäreinsatz
Trump droht mit dem Einsatz des US-Militärs im Land selbst - gegen protestierende Amerikaner. Vereinfacht gesagt untersteht die jeweilige Nationalgarde wie die Polizei eher den regierenden Gouverneuren eines Bundesstaats, die Armee dagegen untersteht eindeutig dem Präsidenten. Nicht nur, dass er damit auf gefährliche Weise polarisiert, er nutzt dafür ein über 200 Jahre altes Gesetz, das ihm als Oberbefehlshaber der Streitkräfte die direkte Ausübung der Exekutivgewalt auf der Straße ermöglicht.
02. Juni 2020 - Die große Gefahr
Über Jahre nahmen zu viele Beobachter Trump nicht beim Wort und verharmlosten auf diese Weise seine Monstrositäten. Aber Trump macht, was er angekündigt hat: Er setzt in der Hauptstadt Washington das US-Militär ein. Schwerstbewaffnete Soldaten, die Trump direkt befehligt. Hubschrauber, die im Tiefflug Kriegstaktiken gegen unbewaffnete Demonstranten anwenden. Trump lässt mit Tränengas den Weg zu einer Kirche freiräumen, wo er sich mit der Bibel in der Hand präsentiert. Ein Experte für die religiöse Rechte der USA sieht hier das fundamentalistische Narrativ "Gut gegen böse" bei Trump, eine Endzeiterzählung mit heiligem Kampf, der wichtiger ist als jede Demokratie. Denn Trump repräsentiert Jesus. Der Kongressabgeordnete David Cicilline twittert: "Wir waren einer Diktatur nie näher."
November 2020 - Ein leider wahrscheinliches Szenario
Sollte er die Wahl im November verlieren, wird Trump einen Staatsstreich unternehmen und niemand wird ihn daran hindern können. Ich befürchte, er wird das Wahlergebnis nicht anerkennen, vorzeitig via Twitter behaupten, dass eigentlich er gewonnen habe und dabei von Trump-hörigen Propagandamedien wie Fox News unterstützt. Er wird alle Differenzen zu anderen Medien mit der Behauptung "Das sind Fake News!" erklären und alle Meldungen von staatlichen Stellen mit einer "Deep State"-Verschwörung der Demokraten. Er wird gegen jeden Protest unmittelbar das ihm unterstellte US-Militär einsetzen, gegen Amerikaner auf amerikanischem Boden. Er wird schließlich den Supreme Court anrufen, damit der seine Version des Wahlausgangs stützt. Die Proteste der Demokraten und der aufrechten, kritischen Medien werden ähnlich hilflos und letztlich wirkungslos sein wie alles Aufbegehren bisher.