(Überlebens)Helden

 von Little Henry

 

Als es noch keine pseudowissenschaftlichen Talkshows als „Lebenshilfe“ gab, oder als noch gegessen wurde, was auf den Tisch kam und es noch kein Ministerium für Verbraucherschutz gab; für die vor 1978 Geborenen zur Erbauung, für die später Geborenen zur Information: genauso war das Alltagsleben.

 

Wenn du nach 1978 geboren wurdest, hat das hier nichts mit dir zu tun. Verschwinde!

 

Kinder von heute werden in Watte gepackt. Wenn du als Kind in den 50er, 60er oder 70 Jahren lebtest, ist es zurückblickend kaum zu glauben, dass wir so lange überleben konnten.

 

Als Kinder saßen wir in Autos ohne Sicherheitsgurte und ohne Airbags. Unsere Bettchen waren angemalt in strahlenden Farben voller Blei und Cadmium.

 

Wir sind auf Bäume gestiegen, die nicht TÜV geprüft waren und wussten, dass man Kirschbäume besser meidet, weil sie so leicht brechen.

 

Wir sind auf Seen Schlittschuh gelaufen, ohne dass sie amtlich freigegeben waren.

 

Wir haben in Flüssen ohne Klärwerke gebadet, in Seen ohne Badeanstalt.

 

Wir trugen keine Markenklamotten und Markenschuhe, wir gingen im Sommer barfüßig.

 

Das Bad wurde nur einmal in der Woche geheizt und einen Fön gab's auch nicht.

 

Wenn es kalt wurde, hat man sich wärmer angezogen und nicht die Heizung höher gedreht.

Zwetschgen musste man aufsammeln, Äpfel pflücken und Nüsse selbst

knacken.

 

Die Fläschchen aus der Apotheke konnten wir ohne Schwierigkeiten öffnen, genauso wie die Flasche mit Bleichmittel.

 

Türen und Schränke waren eine ständige Bedrohung für unsere Finger.

 

Auf dem Fahrrad trugen wir nie einen Helm.

 

Wir tranken Wasser aus Wasserhähnen und nicht aus Flaschen.

 

Es gab kaum Allergien.

 

Wir bauten Wagen aus Seifenkisten und entdeckten während der ersten Fahrt den Hang hinunter, dass wir die Bremsen vergessen hatten. Damit kamen wir nach einigen Unfällen klar.

 

Wir konnten selbst Drachen bauen und wussten, wo man sie nicht fliegen lassen durfte.

 

Wir verließen nachmittags das Haus zum Spielen. Wir blieben den ganzen Nachmittag weg und mussten erst zu Hause sein, wenn die Straßenlaternen angingen. Niemand wusste, wo wir waren und wir hatten nicht mal ein Handy dabei.

 

Wir haben uns geschnitten, brachen Knochen und Zähne und niemand wurde deswegen verklagt. Es waren eben Unfälle. Niemand hatte Schuld, außer wir selbst. Keiner fragte nach "Aufsichtspflicht". Kannst du dich noch an "Unfälle" erinnern?

 

Wir kämpften und schlugen einander manchmal bunt und blau. Damit mussten wir leben, denn es interessierte die Erwachsenen nicht.

 

Wir aßen Kekse, Brot mit dick Butter, eben alles, was es gab und was auf den Tisch kam, tranken sehr viel und wurden trotzdem nicht zu dick.

 

Wir tranken mit unseren Freunden aus einer Flasche und niemand starb an den Folgen.

 

Wir hatten nicht: Playstation, Nintendo 64, X-Box, Videospiele, hunderte Fernsehkanäle, Filme auf Video, DVD, Surround Sound, eigene Fernseher, Computer, CD?s und MP3, Internet-Chat-Rooms und Facebook Wir hatten noch echte und keine virtuellen Freunde. Wir gingen einfach raus und trafen sie auf der Straße.

 

Oder wir marschierten – ganz ohne Navi - einfach zu deren Heim und klingelten. Manchmal brauchten wir gar nicht klingeln und gingen einfach hinein. Ohne Termin und ohne Wissen unserer gegenseitigen Eltern. Keiner brachte uns und keiner holte uns... Wie war das nur möglich?

 

Wir dachten uns Spiele aus mit Holzstöcken und Tennisbällen. Außerdem aßen wir Würmer. Und die Prophezeiungen trafen nicht ein: Die Würmer lebten nicht in unseren Mägen für immer weiter und mit den Stöcken stachen wir nicht besonders viele Augen aus.

 

Beim Straßenfußball durfte nur mitmachen, wer gut war. Wer nicht gut war, musste lernen, mit Enttäuschungen klar zukommen.

 

Manche Schüler waren nicht so schlau wie andere. Sie rasselten durch Prüfungen und wiederholten Klassen. Das führte nicht zu emotionalen Elternabenden oder gar zur Änderung der Leistungsbewertung.

 

Unsere Taten hatten manchmal Konsequenzen. Das war klar und keiner konnte sich verstecken. Wenn einer von uns gegen das Gesetz verstoßen hat, war klar, dass die Eltern ihn nicht aus dem Schlamassel heraus hauen. Im Gegenteil: Sie waren der gleichen Meinung wie die Polizei. So etwas!

 

Unsere Generation hat eine Fülle von innovativen Problemlösern und Erfindern mit Risikobereitschaft hervorgebracht. Wir hatten Freiheit, Misserfolg, Erfolg und Verantwortung. Mit alldem wussten wir umzugehen.

 

Wir suchten keinen Superstar, kein Supertalent und brauchten auch keinen X-Faktor, denn wir waren und sind (Überlebens)Helden.

 

Und du, gehörst du auch dazu? Dann herzlichen Glückwunsch!