Der Umzug von Berlin ins deutsche Ausland

Meine ersten Tage im Schwäbischen

 

 

Vor mehr als einem Jahrzehnt verschlugen mich familiäre und berufliche Erfordernisse nach Stuttgart, bekanntlich die südwestlichste Hauptstadt im deutschen Lande.

 

Frohgemut machte ich mich mit Sack und Pack auf den Weg in dieses Ländle. Staunte als erstes über die sauberen Straßen. Nirgendwo lag auch nur ein Stück Papier herum, geschweige denn Hundesche... War Berlin doch eine dreckige Stadt!

 

Machte mehrmals eine Vollbremsung, denn es war hier nicht üblich, eine Richtungsänderung mit Blinken anzuzeigen. Ich vermute, die schwäbischen Autofahrer haben ein besonderes Gen, das ihnen ermöglicht, die Fahrziele des anderen Autofahrers vorauszuahnen.

 

In der neuen Wohnung angekommen, meine Koffer und Kartons waren noch gestapelt und verschlossen, wurde ich flugs in die Gepflogenheiten der schwäbischen Kehrwoche, der großen und der kleinen, eingewiesen. Und das es einer Todsünde gleichkäme, diese nicht ordentlich zu verrichten oder gar zu versäumen. Eine Tafel, beizeiten an meiner Türklinke angehängt, würde mich diesbezüglich immer auf dem Laufenden halten.

 

Nach der langen Anfahrt wurde es als erstes nötig, meinen Kühlschrank zu füllen. Gegenüber gab es einen Fleischer, der hier Metzger heißt. Kaum eingetreten ,begrüßte mich die Verkäuferin nach meinem Guten Tag mit einem demonstrativen Grüß Gott. Ich hörte regelrecht heraus, was sie dachte: Lieber Gott, beschütze uns vor diesen Zugereisten. Zum ersten Mal konnte ich erahnen, wie sich ein ungeliebter Ausländer bei seiner Ankunft fühlen muss.

 

Andere Lebensmittel fand ich beim Aldi, der mir ja bestens bekannt war. Nur auch hier war vieles anders. Angefangen schon auf dem Parkplatz. Kaum alte Autos; es reihten sich die neuen und vor allem großen Autos. Ehrlich, hier schämte ich mich etwas für meinen über acht Jahre Opel mit den drei Kratzern und Beulen.

 

Drinnen alles in Reih’ und Glied, bestens sortiert und welche Vielfalt. Nur einiges vermisste ich, vor allem mir bekannte Kartoffelsorten und Roggenbrot, das auch so aussieht und schmeckt.. Was habe ich in den darauffolgend Wochen nach diesen Dingen gesucht!

 

Zwei Tage später begann ich meine neue Arbeit. Hier ging man ja ins Geschäft oder zum Daimler schaffen und nicht etwa arbeiten. Allein die Bahnfahrt, offiziell U-Bahn, die Stuttgarter sagen aber Straßenbahn dazu, war ein Erlebnis.

 

Die ersten bösen Blicke erntete ich beim Ein- und Aussteigen. Noch nicht des Berliner Berufsverkehrs entwöhnt, drängelte ich dabei. Wollte ja nicht die doofe Olle mit Kleister anne Botten sein. Die Stuttgarter benötigten allein für diesen einfachen Vorgang gefühlt bis zum Sonnenuntergang.

 

Irgendwann im Laufe des Tages hatte ich mein erstes Phonodiktat zu schreiben. In meiner maßlosen Arroganz glaubte ich, der deutschen Sprache mächtig zu sein. Hier wurden mir meine Grenzen knallhart aufgezeigt. Schreibe einmal ein normal deutsch Sprechender ein mit schwäbischen „Fachausdrücken“ gespicktes Diktat und dann noch in einem Nuscheldialekt. Nach einer Stunde bekam ich starke Zweifel, ob ich dieser Herausforderung überhaupt gewachsen bin. Ohne die Übersetzungen der Kollegen wäre ich baden gegangen und somit gescheitert.

 

Geschafft und am Ende meiner Nerven kam ich abends zu Hause an; später, nach Wochen war ich daheim. Ich ging auch nicht mehr einkaufen, sondern einholen.

 

Allmählich, jeden Tag ein kleines bisschen, lernte ich die Sprache verstehen. Wusste irgendwann, was ein Flaschner, ein Essenkehrer ist, das die Bäckerei Back heißt, gewöhnte mich an die nichtblinkenden Autos, fand so manches Ding geschickt, lernte den Unterschied zwischen Daggel und Halbdaggel. Erkannte die Animositäten zwischen Schwaben und Badenern. Trinke meinen Kaffee aus einem Hafen. Gewöhnte mich daran, eine Angelegenheit rum und num zu bedenken und während dieses ernsthaften Schöpfungsprozess keine flapsigen Witze zu machen.

 

Einmal besuchte ich ein Konzert . Vom Rhythmus mitgerissen, applaudierte und pfiff ich stehend meine Begeisterung heraus. Bis ich bemerkte, dass ich die Einzige von den ein paar tausend im Saal war, die dermaßen emotional entgleiste. Oh Gott, war das peinlich!

 

Heute verstehe ich sogar die von der Albra, drängele nicht mehr beim Ein- und Aussteigen, mache regelmäßig, wenn ich an der Reihe bin, die Kehrwoche. Hole, wenn ich einen ausgeben muss, Butterbrezeln, aber nicht mehr als zwei für jeden; alles andere wäre reine Verschwendung.

 

Ja, ja, der Mensch gewöhnt sich an vieles, er ist lernfähig.